16.10.2025 von Daniela Rhiel-Ivanková, Slowakei

„Nebudeme ticho“ – Die Kunst, nicht zu schweigen

Im Sommer 2024 sollte im Kulturzentrum Tabačka in Košice ein Konzert der Band Mimeta stattfinden – eine moderne, elektronische Lesart slowakischer Folklore, verspielt und frei. Doch am Nachmittag kam die Nachricht: abgesagt. Offiziell aus „organisatorischen Gründen“, inoffiziell, weil die Band den Hashtag #NebudemeTicho („Wir werden nicht schweigen“) geteilt hatte. Ein Satz, der zum Symbol wurde.

Wenige Wochen später traf es das Theaterstück Za oponou („Hinter dem Vorhang“) in Bratislava: abgesetzt wegen „Verstoßes gegen nationale Werte“. Auch die Ausstellung des Malers Peter Kováč, dessen Werke gleichgeschlechtliche Paare zeigten, verschwand aus der Nationalgalerie – „zu anstößig“, befand die Kulturministerin. Selbst Radiosender erhielten interne Hinweise, „politisch neutrale“ Musik zu spielen – ein Euphemismus für das, was politisch erwünscht ist.

Seit der Rückkehr von Robert Fico an die Macht im Herbst 2023 hat sich die slowakische Kulturszene in eine politische Frontlinie verwandelt. Stücke werden gestrichen, Intendant:innen entlassen, Künstler:innen eingeschüchtert. Doch die Antwort kam aus der Kunst selbst: Menschen aus verschieden Kunstbranchen gründeten die Bewegung Nebudeme ticho. Tausende gingen auf die Straße – in Bratislava, Poprad, Banská Bystrica. Sie sangen, spielten, lasen Texte. Sie zeigten, dass Kultur kein Luxus ist, sondern das Rückgrat einer lebendigen Demokratie.

Parallel entstanden Initiativen wie Otvorená kultúra („Offene Kultur“) und Kultúrny štrajk („Kulturstreik“) , die über 300 Organisationen und fast 2 000 Kunstschaffende vereinen. Theater schlossen symbolisch für einen Tag, Museen verdunkelten ihre Ausstellungen, um zu zeigen, was verloren ginge, wenn Kultur verstummt.

Zwischen zwei Welten

Ich lebe seit einigen Jahren in Berlin. Von hier aus sieht man nicht nur ein anderes politisches Klima, sondern eine andere Temperatur der Freiheit. In Berlin ist Kunst laut, widersprüchlich, manchmal unverständlich – aber sie darf alles sein. Niemand fragt, ob sie genehm ist. Gerade deshalb spürt man, wie zerbrechlich dieser Raum ist. Auch hier wird versucht, Kultur zu zähmen – doch in Deutschland wird darüber gestritten, nicht geschwiegen.

Und doch: Berlin ist nicht das ganze Land. Wer nach Chemnitz fährt, erlebt eine Stadt, die mit sich selbst ringt. Eine Stadt, die den Stempel „rechts“ nie ganz loswurde und doch den Mut fand, Kulturhauptstadt Europas 2025 zu werden. Unter dem Motto „C the Unseen“ zeigt Chemnitz, dass Wandel möglich ist, wenn Menschen beginnen, wirklich miteinander zu sprechen – nicht nur übereinander.

In den letzten Jahren geschah dort etwas Unerwartetes: Nachbarschaften, die sich lange fremd waren, kamen ins Gespräch. Es entstanden Freundschaften, neue Initiativen, kleine Inseln demokratischer Begegnung. Das Bild der „rechten Stadt“ verblasste nicht, aber es bekam Risse – und durch diese Risse fiel Licht.

Ein Blick nach Osten

Auch in der Slowakei wird bald eine Stadt im europäischen Rampenlicht stehen: Trenčín, Kulturhauptstadt Europas 2026. Wie Chemnitz liegt sie abseits der Metropolen, industriell geprägt, mit reichem, aber wenig sichtbarem kulturellem Erbe. Ihr Motto „Awakening Curiosity“ – Neugier wecken – klingt wie eine Einladung, aber auch wie eine Bitte: Möge die Kultur Neugier zulassen, nicht zum Schaufenster werden, sondern zum Spiegel – ehrlich, ungeschönt, mutig.

Ob Trenčín eine ähnliche Kraft entfalten kann wie Chemnitz, hängt davon ab, ob Kunst dort frei atmen darf. Denn Kulturhauptstadt zu sein bedeutet nicht nur, das Schöne zu feiern, sondern auch das Schwierige auszuhalten – gemeinsam.

Wenn Kunst wieder spricht

Vielleicht berührt mich Chemnitz so sehr, weil es zeigt, dass Veränderung nicht mit Parolen beginnt, sondern mit Begegnungen. Und weil ich weiß, dass es – wie in meiner Heimat – Mut braucht, weiterzusprechen, auch wenn es unbequem ist.

Ich wünsche mir, dass auch in der Slowakei diese Begegnungen möglich bleiben: auf Marktplätzen, in Theatern, in kleinen Ateliers. Orte, an denen Menschen einander zuhören und ihre Stimme nicht verlieren.

Die Bewegung Nebudeme ticho ist längst mehr als ein Protest – sie ist eine Selbstvergewisserung. Eine Erinnerung daran, dass Demokratie nicht an der Wahlurne endet.

Menschen in der Slowakei machen mir Mut. Trotz aller Einschränkungen bleiben viele und kämpfen weiter. Sie organisieren Ausstellungen, Theateraufführungen, Konzerte, schaffen Dialogräume – ohne Intrigen, ohne Machtmissbrauch. Es ist ein David-gegen-Goliath-Kampf, der Aufmerksamkeit verdient – auch außerhalb der Slowakei. Europäische Medien und internationale Kulturplattformen stärken diesen Mut: Sichtbarkeit erhöht das Selbstbewusstsein der Protestierenden und zeigt, dass Macht nicht unbegrenzt ist.

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