Medien. Freiheit. Georgien. Drei Worte, die sich gegenseitig ergänzen sollten und doch seit Jahren im Widerspruch zueinander stehen. In den letzten zwei Jahren existiert in Georgien kaum noch Pressefreiheit. Journalistinnen und Journalisten wird verboten, die Wahrheit zu zeigen und die Realität abzubilden. Demonstrationen sind zu einem Teil des georgischen Alltags geworden. Menschen gehen auf die Straße, um ihre Stimme zu verteidigen, nicht aus Leidenschaft für den Protest, sondern weil sie keine andere Wahl haben.
Auch ich war Teil dieser Demonstrationen, sowohl als Bürgerin als auch als Journalistin. Ich fühlte, dass es meine Pflicht war, zu handeln, zu berichten und sichtbar zu machen, was andere nicht sehen durften. Doch an jenem Tag begriff ich, dass Journalismus in Georgien längst keine bloße Profession mehr ist er ist zu einem Akt des Widerstands geworden.
Die Entwicklung der Pressefreiheit in Georgien
Über viele Jahre hinweg bemühte sich Georgien, der Welt seine Realität mitzuteilen, nicht nur der eigenen Bevölkerung, sondern auch jenen Gesellschaften, die Pressefreiheit und journalistischen Schutz als Grundlage der Demokratie betrachten. Doch trotz dieser Bemühungen hat sich die Lage in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert.
Während des Krieges im Jahr 2008 wurden georgische und internationale Journalistinnen und Journalisten zur Zielscheibe von Angriffen. Kameras wurden zerstört, Reporter eingeschüchtert, und die Wahrheit blieb im Rauch der Propaganda verborgen. Diese Ereignisse waren ein Vorbote dessen, was wir heute erleben: eine systematische Einschränkung der Medienfreiheit, bei der kritische Stimmen unterdrückt und unabhängige Medien geschlossen werden.
Der Niedergang der Pressefreiheit begann schleichend mit politischen Drohungen, finanziellen Sanktionen und gerichtlichen Verfahren gegen Medienschaffende. Heute ist der Zustand offen repressiv. Der Fall der Journalistin Mzia Amaghlobeli, die 2025 nach friedlichen Protesten zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde, zeigt, wie weit der Staat bereit ist zu gehen, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Internationale Organisationen wie Amnesty International und Reporter ohne Grenzen haben den Prozess als unfair und politisch motiviert bezeichnet.
Proteste und der Kampf um die Wahrheit
Die jüngsten Demonstrationen in Georgien begannen im Jahr 2024 ausgelöst durch politische Entscheidungen, die das Land vom europäischen Weg zu entfernen drohten. Die Bevölkerung ging auf die Straße, um ihre Zukunft zu verteidigen für Gerechtigkeit, für Europa, für Demokratie. Doch statt zuzuhören, reagierte der Staat mit Gewalt.
Polizisten griffen friedliche Demonstrierende an, setzten Tränengas ein und gingen auch gegen Journalistinnen und Journalisten vor, die nur ihre Arbeit machten. Über 35 Medienschaffende
wurden während dieser Proteste verletzt, viele berichteten von gezielten Angriffen. Kameras wurden zerstört, Mikrofone entrissen, Reporter verprügelt.
Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als die Menge auseinanderlief und die Sirenen heulten. Ich hatte meine Kamera in der Hand, versuchte ruhig zu bleiben und weiter zu filmen. Doch in diesem Augenblick spürte ich, dass die Grenze zwischen Beobachterin und Betroffener verschwunden war. Ich war nicht mehr nur Zeugin, ich war Teil des Geschehens.
Diese Szenen sind zum Symbol einer Gesellschaft geworden, in der Wahrheit gefährlich geworden ist. Wo ein Foto, ein Satz oder eine Liveübertragung als Bedrohung empfunden wird.
Die Rolle der Medien in der Gesellschaft
Medien sind nicht nur Informationsquellen sie sind das Gedächtnis einer Gesellschaft. Sie formen das Bewusstsein, schaffen Verantwortung und ermöglichen demokratische Teilhabe. In einem Land, in dem die Pressefreiheit eingeschränkt ist, verliert die Bevölkerung die Fähigkeit, zwischen Wahrheit und Propaganda zu unterscheiden.
Die Schließung kritischer Medien wie des „Mtavari Arkhi“ (Main Channel) ist ein schwerer Schlag für die georgische Demokratie. Dieser Sender war eine der letzten Plattformen, die offen über Korruption, Machtmissbrauch und Menschenrechtsverletzungen berichtete. Mit jedem Medium, das zum Schweigen gebracht wird, verliert die Gesellschaft ein Stück Wahrheit und die Regierung gewinnt ein Stück mehr Kontrolle.
Kritische Medien spielen eine entscheidende Rolle bei der Meinungsbildung. Sie stellen Fragen, decken Missstände auf und geben jenen eine Stimme, die sonst niemand hört. Ohne sie wird Demokratie zu einer bloßen Fassade, hinter der sich Zensur und Angst verbergen.
Wenn Journalismus zur Gefahr wird
Die Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten in Georgien zeigt, wie gefährlich die Wahrheit geworden ist. Wenn Kameras als Waffen betrachtet werden und Reporter als Feinde, verliert ein Land seinen moralischen Kompass. Das Vertrauen zwischen Medien und Staat ist gebrochen. Viele junge Journalistinnen und Journalisten verlassen das Land oder wechseln den Beruf, weil sie nicht mehr glauben, dass sie geschützt sind.
Doch trotz der Angst gibt es immer noch Menschen, die weitermachen – die berichten, dokumentieren, bezeugen. Sie sind die Verteidiger der Wahrheit. Ohne sie wäre die Dunkelheit vollkommen.
Ausblick und Lösungsmöglichkeiten
Die Wiederherstellung der Pressefreiheit in Georgien erfordert mehr als internationale Kritik. Sie verlangt politischen Willen, rechtliche Garantien und gesellschaftliche Unterstützung. Es muss
unabhängige Kontrollmechanismen geben, die sicherstellen, dass Journalistinnen und Journalisten ohne Angst arbeiten können.
Freundesländer, insbesondere in der Europäischen Union, haben mehrfach betont, dass Medienfreiheit ein zentraler Bestandteil jeder Demokratie ist. Doch Worte allein reichen nicht aus – nötig ist konkrete Unterstützung: Ausbildungsprogramme, Schutzinitiativen, internationale Beobachter bei Protesten und juristische Hilfe für verfolgte Medienschaffende.
Europa muss über Georgien sprechen – nicht nur aus Solidarität, sondern aus Verantwortung. Denn jedes Schweigen stärkt die Unterdrückung.
Die zentrale Frage bleibt: Wer schützt diejenigen, die unsere Wahrheit verteidigen? Solange diese Frage unbeantwortet bleibt, ist nicht nur die Sicherheit der Journalistinnen und Journalisten bedroht, sondern auch das Recht der Gesellschaft auf Information.
Die Wahrheit braucht Mut. Und Mut braucht Schutz. In Georgien wird dieser Mut jeden Tag auf die Probe gestellt – auf den Straßen, in den Redaktionen, in den Gefängnissen. Doch solange es Menschen gibt, die an die Macht der Worte glauben, wird auch die Wahrheit nicht verschwinden.
Journalismus ist kein Verbrechen. Er ist der letzte Ort, an dem die Freiheit atmet.