16.10.2025 von Erjona Jatagani, Albanien

Die neue Ministerin: Diella im Amt

Am 11. September 2025, während einer Sitzung der Sozialistischen Partei Albaniens in Tirana, überraschte Premierminister Edi Rama nicht nur mit der Vorstellung seines neuen Kabinetts, sondern auch mit einer Ankündigung, die weit über die Grenzen des Landes hinaus Aufmerksamkeit erregte. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde eine künstliche Intelligenz offiziell zur Ministerin ernannt. Die virtuelle Figur trägt den Namen Diella – was auf Albanisch „Sonne“ bedeutet – und übernimmt das Ministerium für öffentliche Beschaffungen. Diese Ernennung markiert einen symbolischen und zugleich praktischen Schritt in Ramas erklärtem Kampf gegen Korruption, Vetternwirtschaft und Intransparenz in der albanischen Verwaltung. Es ist ein Schritt, der sowohl Bewunderung als auch Skepsis ausgelöst hat.

Diella ist kein Mensch, sondern ein von der Nationalen Agentur für Informationsgesellschaft (AKSHI) entwickeltes KI-System, das ursprünglich als virtueller Assistent auf der Plattform eAlbania diente – dem digitalen Verwaltungsportal des albanischen Staates. Dort unterstützte sie Bürgerinnen und Bürger bei der Navigation durch bürokratische Prozesse, beantwortete Fragen in schriftlicher oder gesprochener Form und vermittelte das Bild eines modernen, digitalen Staates. Nun aber wird ihr eine weit größere Verantwortung übertragen: Sie soll das gesamte System der öffentlichen Ausschreibungen in Albanien überwachen, verwalten und genehmigen. Die Idee dahinter ist ebenso einfach wie ambitioniert – ein nicht-menschliches Wesen kann nicht bestochen, nicht bedroht, nicht politisch manipuliert werden. In einem Land, das in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder durch Korruptionsskandale, Klientelismus und politisch motivierte Vergaben in die Schlagzeilen geriet, soll eine solche Maßnahme ein neues Kapitel aufschlagen.

Rama selbst präsentierte Diella mit der ihm eigenen Mischung aus politischem Kalkül und künstlerischer Inszenierung. Der Premierminister ist bekannt für seine Vorliebe für das Symbolische, seine medienwirksamen Auftritte und seine Neigung, Neues nicht nur zu begrüßen, sondern geradezu zu zelebrieren – eine Haltung, die nicht zuletzt auf seine Vergangenheit als bildender Künstler zurückgeht. Die animierte Ministerin Diella, mit der sorgfältig entworfenen traditionellen zadrimischen Kleidung und dem Gesicht, das an eine bekannte albanische Schauspielerin erinnert, ist nicht nur ein technisches Konstrukt, sondern auch ein kulturelles und politisches Statement. Sie steht für Reinheit, Neutralität, Modernität – aber auch für ein tiefes Bedürfnis nach internationaler Anerkennung.

Tatsächlich ist die Hoffnung groß, dass Diella zur Entpolitisierung der Vergabepraxis beitragen könnte. Öffentliche Ausschreibungen in Albanien gelten als eine der Hauptquellen für illegale Bereicherung, politische Einflussnahme und Machtmissbrauch. Wenn eine KI diese Prozesse übernimmt – rein datenbasiert, transparent, ohne menschliche Vorurteile – könnte dies ein wirksames Instrument gegen systemischen Missbrauch sein. Doch viele fragen sich, ob diese Hoffnungen realistisch sind. Denn auch wenn Diella keine menschlichen Schwächen hat, wird sie doch von Menschen programmiert, überwacht und kontrolliert. Ihre Entscheidungen basieren auf Algorithmen, die von Menschen definiert wurden – und ihre Kommunikation erfolgt über Skripte, die von Expertinnen und Experten geschrieben werden, die die politische Realität sehr gut kennen.

Ein Vorfall im Oktober 2025 nährte zusätzlich die Skepsis. Während einer offiziellen Kampagne im Rahmen des internationalen Brustkrebsmonats – bei uns als „Rosa Oktober“ bekannt – wurde Diella in einer Videobotschaft mit sechs Fingern an einer Hand dargestellt. Für viele Beobachter war dies mehr als nur ein technischer Fehler. Es wurde als Symbol für die Unvollkommenheit einer Technologie wahrgenommen, die nach außen hin Perfektion und Unfehlbarkeit suggerieren will. Ein IT-Experte, der anonym bleiben möchte, erklärte gegenüber lokalen Medien, dass Diella keineswegs ein autonomes System sei. Vielmehr handle es sich um ein KI-generiertes Video, hinter dem reale Verwaltungsbeamte operieren. Auch die gut formulierten Reden, die Diella bei offiziellen Anlässen hält, stammen aus der Feder von Menschen – nicht von einem Algorithmus.

Die politische Opposition reagierte heftig auf Diellas Ernennung. Sali Berisha, der Vorsitzende der Demokratischen Partei und ein altgedienter Akteur in der albanischen Politik, bezeichnete die Maßnahme als „gefährliche Farce“ und kündigte an, das Dekret vor dem Verfassungsgericht anzufechten. In seiner Rede vor der Fraktion sprach er von einem „propagandistischen Ablenkungsmanöver“, das dazu diene, das Versagen der Regierung in zentralen Bereichen wie Wirtschaft, Gesundheit und Bildung zu kaschieren. Laut Berisha gefährde eine solche „Desinformationsmaschine“ nicht nur das Vertrauen der Bevölkerung, sondern auch die demokratischen Prinzipien des Landes. Er warnte vor einem „Narkostaat“, der sich zunehmend vom europäischen Wertekanon entferne.

Doch jenseits der politischen Rhetorik stellt sich die zentrale Frage: Was bedeutet Diella für die albanische Gesellschaft? Wird sie wirklich etwas verändern – oder ist sie lediglich eine hochmoderne Fassade, die ein altes System in neuem Glanz erscheinen lässt? Viele Bürgerinnen und Bürger bleiben skeptisch. Zu tief sitzt die Erfahrung, dass gute Jobs selten durch Qualifikation, sondern meist durch Beziehungen und Parteitreue vergeben werden. Zu offensichtlich ist die demografische Realität: Immer mehr junge Menschen verlassen das Land auf der Suche nach Perspektiven im Ausland, weil sie in Albanien keinen fairen Zugang zu Chancen sehen. In einem solchen Umfeld ist das Vertrauen in technologische Lösungen begrenzt – besonders, wenn diese Lösungen selbst auf menschlicher Kontrolle beruhen.

Diella bleibt also ein faszinierendes Experiment – irgendwo zwischen Fortschritt und Fiktion. Sie ist ein Spiegel der Ambitionen einer Regierung, die international punkten will, aber auch ein Mahnmal für die Herausforderungen, die bleiben. Ob sie am Ende tatsächlich dazu beiträgt, die politische Kultur Albaniens zu transformieren, oder ob sie als PR-Gag in die Geschichte eingeht, wird sich erst mit der Zeit zeigen. Sicher ist nur: Albanien hat mit Diella die Aufmerksamkeit der Welt erneut auf sich gezogen – und der politische Diskurs des Landes ist um ein außergewöhnliches Kapitel reicher geworden.

Verwandte Beiträge