von Neli Cholashka-Melidou, Bulgarien

Am 11. Februar 2012 war es in Bulgarien sehr kalt – ungefähr -10 Grad. In allen bulgarischen Städten wurde über das soziale Netzwerk Facebook ein Protest gegen ACTA organisiert. Trotz des schrecklichen Wetters versammelten sich rund 10.000 junge Menschen vor dem nationalen Kulturpalast in der Hauptstadt Sofia und liefen durch das Zentrum. Die Stadtwanderung endete schließlich vor dem Parlament, wo eine Stunde gegen die Vereinbarung ACTA protestiert wurde. Bulgarien hatte bereits das Urheberrechtsabkommen unterzeichnet, jedoch konnte kein einziger Politiker die Gründe für diese Entscheidung erläutern.

Obwohl zur Zeit der Demonstration keine Abgeordneten im Parlament präsent waren (es war Samstag), nahmen die Abgeordneten auf die Meinung der Jugendlichen Rücksicht und stimmten daraufhin ab, dass Bulgarien die Ratifizierung des Vertrages aussetzt.

Warum wurde die Stimme der Zivilgesellschaft vom Parlament, in dem die Regierungspartei GERB die Mehrheit hat, gehört? Das passiert selten in Bulgarien. Allerdings war dies der erste große Protest in Bulgarien seit 1997 (im Jahr 1997 wurde die Regierung von Jan Widenow durch Proteste abgesetzt). Keiner erwartete, dass sich die Bürger in Bulgarien wieder organisieren würden und mit Demonstrationen etwas ändern könnten. In Facebook bestätigten tausende Menschen, dass sie zum Protest kommen. Es passiert aber sehr oft, dass danach nur hundert oder sogar weniger tatsächlich kommen. Im Gegensatz zu den Erwartungen waren jedoch mehrere Tausend anwesend. Zum Glück gab es darunter keine Politiker; der Protest wurde einfach von den wütenden jungen Menschen in Bulgarien organisiert.

Und das war nur der Anfang.

Am 13. Juni 2012, dem Geburtstag von Ministerpräsident Bojko Borissov, fand die nächste Welle von Bürgerprotesten statt. Jedes Jahr sagte Borissov, dass er seinen Geburtstag aufgrund zahlreicher Engagements nicht feiert. Doch verwirklichte der ehemalige Ministerpräsident Italiens Silvio Berlusconi „zufällig” einen offiziellen Besuch am 13. Juni 2010, obwohl es kein Werktag war. Dieses Jahr bekam Borissov wieder viele Geschenke von allen Ministern und Abgeordneten der Partei GERB – besonders interessant war die große Torte in Form einer neugebauten Autobahn (Borissov eröffnet gern neue Straßen und Teile von Autobahnen). Der Protest der wütenden jungen Menschen in Bulgarien war aber ein unerwartetes Geschenk.

Der Protest war auch durch Facebook organisiert und war gegen Veränderungen des Gesetzes für die Wälder in Bulgarien. Ein Abgeordneter, der für seinen aktiven Lobbyismus bekannt ist (Lobbying ist in Bulgarien nicht verboten, wird aber auch nicht reguliert, deshalb ist es sehr oft mit Korruptionsschemen verbunden) hat Veränderungen vorgeschlagen, die zu vielen Baustellen im Gebirge Vitoscha nahe Sofia führen würden. Für alle Bürger in Bulgarien war es klar, dass eine bestimmte Person bauen würde, die enge Kontakte zur Regierung pflegt – Ceko Minev, der im Jahr 2006 die Drahtseilbahnen in Vitoscha privatisiert hat. Im Vertrag steht ausdrücklich, dass er über keine Baurechte in Vitosha verfügt. Er hat nichts gebaut, aber dafür funktionieren die Drahtseilbahnen in Vitosha seit einem Jahr nicht mehr und man kann nicht Skifahren. Minev wartete auf Gesetzesänderungen für die Wälder, um sein Bauprojekt zu realisieren. Die vorgeschlagenen Veränderungen wurden in Bulgarien als Veränderungen Ceko Minev bekannt.

Die jungen Menschen haben oft dagegen protestiert. Trotzdem hat das Parlament am 13. Juni 2012 diese Veränderungen bestätigt. Die wütenden Jugendlichen organisierten sich sehr schnell durch Facebook. Der Treffpunkt war an einer der größten Kreuzungen in Sofia – Orlov most – und die Idee war diese Kreuzung zu blockieren. Eine Genehmigung vom Rathaus hatten die Demonstranten natürlich nicht.

Ich selbst habe es nicht erwartet, dass die Menschen sich versammeln und es schaffen würden die Kreuzung zu blockieren, aber das passierte. Die Polizei war auch nicht auf diesen Protest vorbereitet. Sie versuchte die Blockade erfolglos zu vermeiden. Der Protest war friedlich, die jungen Menschen saßen an der Straße und demonstrierten. Sie schenkten den Polizisten auch Blumen, aber die Polizei machte den Fehler, die jungen Menschen gewaltsam zu verhaften.

Das war der erste Tag der Proteste gegen die Veränderungen Ceko Minev. Am 13. Juni betrug die Anzahl der Bürger ungefähr 1.000 und nur wenige Medien waren vor Ort. Es war aber genug. Am nächsten Tag versammelten sich zwei Mal mehr Leute und alle Medien waren anwesend. Bojko Borissov wies darauf hin, dass die Polizisten keine Gewalt anwenden dürfen und nur wirklich aggressive Menschen verhaften können.

Es gab noch zwei Wochen Proteste bis die Regierungspartei GERB Verhandlungen mit den Demonstranten startete. Das Gesetz wurde erneut verändert, wobei Ceko Minev sowie andere Personen jetzt nicht im Gebirge Vitoscha bauen dürfen.

Inzwischen haben Leute, die eng mit den Regierenden verbunden sind, komische Proteste organisiert, die die Gesetzesänderungen Ceko Minev unterstützen sollten. Es war klar, dass die Demonstranten nicht spontan auf die Straße gegangen sind, sondern von jemandem gezielt organisiert wurden. Diese Proteste fanden nicht abends nach dem Arbeitstag statt, wie die tatsächlich spontanen, sondern um 12 bis 13 Uhr mittags. Einige Demonstranten gaben auch zu, dass sie für die Stadtverwaltung arbeiten und vom entsprechenden Leiter zum Protest geschickt wurden.

Diese zwei Proteste waren zum ersten Mal in den letzten 22 Jahren mit keinem politischen Interesse verbunden. Normalerweise gab es ein Jahr vor den Parlaments- oder Regierungswahlen (in Bulgarien finden die nächsten im Sommer 2013 statt) durchschnittlich mehrere Proteste, aber sie waren immer mit politischen Interessen verbunden.

Die Proteste der jungen Menschen im Jahr 2012 waren die Geburt der Zivilgesellschaft in Bulgarien, auf die wir seit 22 Jahren warten. In den letzten Monaten gab es andere kleinere Proteste der Bürger gegen die hohen Strompreise oder gegen die neuen Regeln und höheren Preise für Parken im Sofioter Stadtzentrum.


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