von Maria Balabas, Rumänien

Als ich ein Kind war, haben meine Eltern oft ein Vynil der damalig besten rumänischen Band, Phoenix, gespielt. Auf dem Album „Mugur de fluier“ („Flötenknospe“)war eines der besten Lieder: „Mica ţiganiadă“ („Der kleine Zigeunerzug“). Ich kann mich auch jetzt noch an den Liedtext erinnern: „Spre un târg bizanţ/ Fără nici un sfanţ/ O carda..." („Richtung byzantinischer Markt/ Kein Stückchen Geld in meiner Tasche ...”).

Das ist das romantische Bild, womit ich aufgewachsen bin und alles, was ich mir selber damals in Zusammenhang mit dem Geist des Ethno-Rocks gewünscht hatte, war wegzuziehen, irgendwohin in die Welt zu reisen, vielleicht zusammen mit einem Bär, der mir hinterher laufen soll, auf der Suche nach Freiheit. Sagen wir, dass ich es auch getan hätte....

....so wäre ich vielleicht jetzt ein Teil der Kollektivgestalt, worüber man heutzutage in den Nachrichten hört.

Zwischen Hammer und Amboss befinden sich jetzt ein wichtiger Name der europäischen Politik und die anonyme Gesellschaft der Roma. August 2010 war der schwarze Monat der Roma, die sich in Frankreich, in der Hoffnung auf ein besseres Leben, niedergelassen haben. Der französische Präsident Sarkozy hat plötzlich entschieden, die Zeltlager der Roma, die sich in der Nähe der Großstädte befanden, aufzulösen und die Roma zurück in ihre Ursprungsländer zu senden. Die meisten Roma aus Frankreich waren ursprünglich aus Rumänien.

Rassismus, Xenophobie, Terror und Stigmatisierung waren die Termini, die von der internationalen Presse benutzt wurden, um die gewaltigen Entscheidungen des französischen Präsidenten zu beschreiben. N. Sarkozy war der erste Offizielle, der einen Zusammenhang zwischen Immigranten und Kriminalität in der Öffentlichkeit hergestellt hat.

Die rumänische Presse zeigte anscheinend eine verspätete Reaktion. Sie ist wesentlich weniger virulent, sie übernimmt viele Positionen aus der internationales Presse, sie formuliert ziemlich selten eigene Perspektiven – die eigentlich nötig wären, um das Bild und das Thema zu ergänzen.

Ich sammle von hier und da einige Artikel: Irgendwo steht, dass der französische Präsident von der Roma-Gemeinschaft verflucht wird und dass sein Liebesglück und seine politische Karriere bald ein Ende nehmen werden. Die Alten können eine ganze Welt vernichten, indem sie einfach ein Foto in der Hand halten – ein Blatt Papier, das die Macht hat, Seelen gefangen zu halten.

Der rumänische Dramatiker Matei Vişniec, der seit mehr als 20 Jahren in Paris lebt, unterstreicht den Beitrag der Roma an der Bereicherung des kollektiven Images, aber er unterscheidet zwischen der Manouche-Gemeinschaft der Roma in Frankreich und den Roma, die nicht arbeiten wollen, sondern sich mit der Etikette des Bettlers an der Straßenecke zufrieden geben.

In einem Zeitungsartikel, der von der Tageszeitung Evenimentul zilei (Das Tagesereignis) veröffentlicht wurde, stoß der ungarische, sozialistische Philosoph Gáspár Miklós Tamás die Roma an, Europa im Zeichen des Protestes in Brand zu stecken.

Eine Webseite, bekannt für ihre humorvollen Kritiken zu den neuesten Themen, hat einen Hip-Hop-Song zum Thema Ausweisung der Roma aus Frankreich hoch geladen. Es zählt zu den besten Ideen bezüglich des Problems: "că-n Paris dacă n-am bani, mâncarea o sar c-o zi". Es ist ein Wortspiel, das den Namen des französischen Präsidenten enthält und heißt: „wenn ich in Paris, kein Geld hab´, verzichte ich heute eben aufs Essen.”

Als ausgeglichen beschreibt der rumänische Präsident Traian Băsescu das Nomadentum der Roma, eine kulturelle Charakteristik, worauf die Europäische Union aufpassen muss, wenn sie versucht unterschiedliche Politiken zu entwickeln, die als Ziel die Integrierung der Roma-Gemeinschaft haben.

Ebenfalls auf der Suche nach einem besseren Leben befanden sich drei Mitglieder der Band Phoenix, die im Jahre 1977 nach Deutschland geflohen sind. Nicu Covaci, der Bandleader, war derjenige, der den anderen zur Flucht verholfen hat. Er hat die Zollbeamten bestochen, er war derjenige, der seinen Bandmitgliedern das Paradies vorstellte, als sie aus den Boxen ihrer Musikinstrumente, in denen sie gereist waren, heraus sprangen. Für uns, die immer noch in Rumänien leben, sind Phoenix echte Legenden geworden, wahre Sinnbilder der Befreiung. Ihre Lieder sind den Rumänen ans Herz gegangen, je mehr die Zensur sich verschärfte.

Für die vier Bandmitglieder haben aber die Enttäuschungen nicht auf sich warten lassen. Westeuropa erwies sich als eine Art krankes Paradies, das kein Bedürfnis für Ihre Musik hatte. Nach mehr als zehn Jahren ohne musikalischen Erfolg und gleich nach der Revolution von 1989 sind die vier Rocker zurück nach Rumänien gekehrt. Die Helden waren wieder unter uns! Die Menschen haben sie willkommen geheißen, indem sie stundenlang die Hora bei ihren Konzerten getanzt haben.

Die Jahre sind aber vergangen. Phoenix haben sich wieder in Rumänien ein Leben aufgebaut, sie sind älter geworden, aber das scheint Nicu Covaci nicht zu hindern, immer mehr Konzerte zu geben.

Ihre Musik hat sich in ein günstiges Geschäft verwandelt. Den Heldenruf, den sie nach dem Exil gewannen, verschwindet langsam, aber sicher. Ich habe ein Konzert der Band vor fünf bis sieben Jahren gesehen. Ein paar alte Männer, die mit heiserer Stimme leere musikalische Phrasen ins Unendliche wiederholten. Ein Traum, der zerplatzt ist.

Die Roma, aber, will niemand zurück haben, auch wenn ihre kulturellen Charakteristika eines der beliebtesten rumänischen Lieder entstehen ließen, „Mica Ţiganiadă“ („Der kleine Zigeunerzug“), sowie auch das einzige Epos der rumänischen Literatur - „Ţiganiada“ („Der Zigeunerzug“) von Ion Buda I. Deleanu.

Es gibt aber eine moderne Form des Nomadentums, die Frankreich vor der internationalen Öffentlichkeit nicht erwähnt. Nämlich die, die vom sozialen System einiger Länder generiert wird und es für Jugendliche möglich macht, einen Arbeitsplatz für einige Monate zu behalten und den Rest des Jahres von Sozialhilfe zu leben. Es geht um Jugendliche, die zu der Entwicklung eines Landes nichts beitragen.

Die meisten Jugendlichen reisen und nehmen die Kultur des aktiven Nomadentums an. Diese Haltung könnte die kapitalistische Gesellschaft alarmieren. Diese Jugendlichen aber sind für keinen Präsidenten ein Gesprächsthema und niemand verurteilt sie. Die Schuld muss eine einzige Gemeinschaft tragen, die nirgendwohin gehört.

N. Sarkozy wünscht sich den goldenen Glanz der Macht. Dazu hat er noch ein schönes Mädchen an seiner Seite, das ihn vielleicht verlassen würde, wenn er ein Niemand wäre. Er muss Präsident bleiben, koste was es wolle. Er hat den Krieg begonnen und ohne ein zweites Mal darüber nachzudenken hat er das Gesetz bzw. den 19. Artikel der Fundamentalen Rechte in der Europäischen Union gebrochen. Der Artikel verbietet die Massenvertreibung in den Ländern der EU. Zwei Monate nach den Ereignissen und nachdem das Internet sehr deutlich mehrere publizistische und soziologische Meinungen bezüglich des Themas aufgezeigt hat – wobei viele Nationen eine gemeinsame Verletzbarkeit zu der Geschichte der vertriebenen Roma empfanden – reagiert auch die Europäische Union kategorisch.

Aus diplomatischem Gesichtspunkt ist dasselbe alte Gesetzt gültig: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Viviane Reding, Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft hat am Dienstag, dem 14. September bekannt gegeben, dass die Europäische Kommission die Infringement-Prozedur gegen Frankreich starten wird.

Die Entscheidung sollte in zwei Wochen getroffen werden. Dazu hat die Kommissarin die französischen Minister direkt angesprochen. Diese hat sie getroffen, damit die Minister ihr die Maßnahmen der Regierung erklären konnten. Sie haben sie schamlos belogen. „Es ist unfassbar, dass ein Teil der französischen Regierung hierher kommt und eines sagt und, dass der andere Teil genau das Entgegengesetzte in Paris anstellt” (hotnews.ro).

Das Resultat ist aber Politik. Ich kehre in meinen Gedanken zurück nach Hause. Die Taten sind vollbracht worden. Die Roma sind stigmatisiert, zurück nach Rumänien gekommen, das Land, aus dem sie fliehen wollten. Phoenix zerstört mit jedem Konzert auch die letzten Funken der Legende, die sie ehemals waren. Ich bin noch nicht mit meinem Bär in die Welt gezogen und denke stark darüber nach, ob es überhaupt einen Sinn haben würde wegzuziehen – ob nicht die Gefahr bestünde, dass mich auch jemand in ein Marketing-, Presse- oder Politikinstrument verwandelt und mit meiner Butter das Brot seines üppigen Frühstücks belegen würde.