von Adél Soós-Nagy, Ungarn


„Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das ist ein Heller. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.” (Markus 12,41-44)

Wir setzten uns und der Pfarrer begann, die Worte der Bibel auszulegen:

„Das sind die Worte Gottes, die uns über die Seligkeit einer alten Witwe erzählen. Indem sich Jesus dem Gotteskasten gegenübersetzte, verschaffte er sich theoretisch einen finanziellen Überblick über die Menschen, die in der Kirche waren. Es ist heute in den Kirchen nicht üblich, dass jemand das Spenden beobachtet. Dieser Überblick von Christi war jedoch zugleich ein Einblick in die menschliche Seele: Inwiefern bist du bereit, anderen von deinem eigenen Vermögen zu geben? Laut der Geschichte spendeten viele Reiche viel, so besteht kein Zweifel, dass in finanzieller Hinsicht an jenem Tag eine positive Bilanz gezogen werden konnte. Gott freut sich über die Reichen, die aus ihrem überflüssigen Geld für andere geben. Doch warum waren gerade die zwei Scherflein so wichtig, dass sie Jesus am Gotteskasten auffielen? Sie bringen ja nicht viel zur Kasse. Und die arme Witwe hätte damit ihren Hunger endlich mindern können. Warum hat sie das getan? War sie noch bei Sinnen? Was war ihre Absicht? Sie wollte ihr ganzes Wohl geben, obwohl sie selbst bedürftig war. An jenem Tag wollte die arme Dame etwas Anderes, nicht das Essen: Sie wollte unbedingt ihre Liebe zu Gott unter Beweis stellen. Und wenn sie alles hingab, was hatte sie dann übrig? Das Vertrauen. Das Vertrauen, dass Gott mit ihr sei und dass er sich um sie kümmere und dass sie in Zukunft trotz gegenwärtigen Leidens, nicht im Stich gelassen werde. Wie würde die alte Witwe denn diesen großen Mut zum Geben erklären?“

Diese Frage hat mich gefangengenommen und ließ mich bis zum Ende des Gottesdienstes nicht mehr los. Ich verließ die Kirche als eine der Letzten und bemerkte am Ausgang die Kollekte für eine Weihnachtsfeier für alleinerziehende Mütter und ihre Kinder. Ich ließ Geld in den Kasten fallen – das nicht allzu viel war, aber gerade noch entbehrlich –, als ich auf ein Gespräch aufmerksam wurde.

„Es tut mir leid, ich kann wirklich nicht“, sagte eine alte Dame in Schwarz gekleidet zum Pfarrer. „Ich kann der Realität nicht weichen, obwohl ich gerne etwas für die Mütter tun würde. Das einzige was ich habe, ist meine Zeit und ich bin sehr gerne bereit, bei den Vorkehrungen und beim Fest selbst mitzuhelfen, aber mein Geld reicht wirklich schon jetzt nicht bis zum Ende des Monats aus. Ich habe Angst mein kleines Geld zu geben. Meinen Sie, Herr Pfarrer, dass ich mich doch irgendwie nützlich machen kann?“, fragte sie verlegen.

„Machen Sie sich keine Sorgen, gnädige Frau“, kam der Pfarrer tröstend entgegen. „Tatsächlich sind in unserer heutigen Welt bestimmte Grundvoraussetzungen nur mit finanziellen Mitteln bewältigbar. Für das Fest müssen wir die Geschenke, die Zutaten für die Speisen einkaufen und dazu brauchen wir zweifellos die Spende der Reicheren. Bis aus den Spenden ein Weihnachtsfest wird, ist auch sehr viel persönlicher Einsatz gefragt und allein diese mit Liebe und Sorgfalt vorgenommenen Vorbereitungen und Abwicklungen werden den Bedürftigen das Gefühl eines echten Festes vermitteln können. Wir freuen uns auf Ihre persönliche, menschliche Hilfe“, erwiderte der Pfarrer strahlend auf das unerwartete Angebot.

Schämend ließ ich noch etwas Geld in den Kasten rutschen, fühlte mich aber trotzdem nicht besser. Ich wusste, meine Zeit ist genauso knapp bemessen, wie die Finanzen der Dame und dass ich mich in der Weihnachtszeit um meine Familie zu kümmern habe. Tief in Gedanken versunken machte ich mich auf den Weg nach Hause. Ich dachte wieder über die Ereignisse nach, die vor vielen vielen Jahren in der Kirche geschehen waren. Könnte dies wieder passieren? Ja, durchaus, das ist aber schon unsere Geschichte. Das Geben und die Bereitschaft, Opfer zu bringen, gehört auch heute zum allgemeinen Wesen des Christentums, zu dem sich viele von uns bekannten. Nur so können die einzelnen Seelen in die wirkliche Nähe Gottes gelangen.