von Ana Nedelea, Rumänien

„Die Helden von Bukarest: gerade zeigen uns die Rumänen, wie man eine Demokratie verteidigt” mit schmeichelhaften Worten berichtete der Washington Post am Anfang des Jahres über die Proteste der Rumänen, die landesweit gegen ein umstrittenes Dekret der sozialliberalen Regierung auf die Straße gingen. Das Kabinett Grindeanu verabschiedete per Eilverordnung eine neue Richtlinie, die den Amtsmissbrauch straffrei gestellt hätte, wenn der dadurch eingetretene Schaden unter knapp 45.000 Euro gelegen wäre. Wochenlang gingen Hunderttausende Menschen auf die Strasse, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen, als es klar wurde, dass ihre Regierung Korruption legalisieren wollte. Weder der harte Winter noch die vereinzelten Krawallen hielten die Proteste auf. Mit dem Rücktritt des Justizministers in der letzten Stunde gaben sich die engagierten Rumänen auch nicht zufrieden. In vielen internationalen Medien lieferten die größten rumänischen Proteste seit dem antikommunistischen Aufstand Schlagzeilen. Alleine in der Hauptstadt Bukarest gingen Tag für Tag 300.000 Menschen auf die Straße. Landesweit demonstrierten 500.000 Menschen. Was die Demonstranten besonders ärgerte: der Parteichef der Sozial-Demokraten Liviu Dragnea hätte von diesem Dekret profitiert, da er wegen mutmaßlicher Anstiftung zum Amtsmissbrauch vor Gericht steht. Dragnea darf als vorbestrafter Politiker zwar kein Amt bekleiden, gilt jedoch als der Strippenzieher hinter der sozialliberalen Regierung.

In für die Demokratie schwierigen Zeiten standen die Rumänen für demokratische Werte ein. Ein Volk ohne eine demokratische Tradition organisierte sich selber und erhob seine Stimme gegen seine Repräsentanten. Auch lobenswert. Ein wahres Privileg der Demokratie will das rumänische Volk jedoch nicht nutzen. Bei den Legislativwahlen im Dezember 2016 lag die Wahlbeteiligung landesweit bei 39,5%. Knapp 45% der Stimmen entfielen auf die sozial-demokratische Partei, die im Anschluss zusammen mit der Allianz der Liberalen und Demokraten die regierende Koalition bildete. Es waren vor allem die jüngeren Wahlberechtigten, die von diesem demokratischen Recht nicht Gebrauch machen wollten. Unter ihnen, viele der mutigen Jugendlichen, die einen Monat später bei Minusgrad und eisigem Wind für Demokratie kämpften.

Es ist kein Fehler, wenn man sagt, dass das mangelnde Interesse der Rumänen, was die Wahlen in ihrem Land angeht, sich in den letzten Jahren als Tendenz ausgezeichnet hat. Bei den Lokalwahlen im Vorjahr lag die Wahlbeteiligung auch unter 50% (48,43%) und bei den Legislativwahlen 2012 landesweit bei knapp 42%. Auch damals gewann die sozial-demokratische die absolute Mehrheit. Drei Jahre später trat das Kabinett infolge von Demonstrationen zurück. Eine in der jungen Geschichte des Landes einmalige Tragödie, der Brand im Bukarester Nachtclub Colectiv, hatte die Bevölkerung tief betroffen und zu wütenden Protesten geführt. Die Bürger machten die Korruption im Land für die Tragödie verantwortlich. Auf vielen Plakaten der Demonstranten stand ein aussagender Satz: „Korruption tötet”.64 Menschen verloren beim Brandunfall ihr Leben. Die Ermittlungen stellten Verstöße gegen Sicherheitsvorkehrungen im Brandfall fest. Ein Jahr später gingen dennoch die Rumänen auch nicht zur Wahl. Einige behaupten, sie würden somit ein Statement abgeben: das Land habe keine ehrliche Politiker, die ihr Vertrauen verdienen. Andere haben einfach kein Interesse für das politische Leben ihres Landes. In Leipzig stand kurz vor der Bundestagswahl auf einem gegen die AfD gerichtete Plakat: „Nicht wählen ist nicht neutral”. Durch geringe Wahlbeteiligung werden in Deutschland aktive Rechtsnationale gestärkt. Im ex-kommunistischen Land Rumänien bringt die geringe Wahlbeteiligung die lange ersehnte Veränderung nicht.

Das umstrittene Dekret wurde nach wochenlangen Protesten zurückgezogen. In den letzten Jahren haben die Rumänen gezeigt, dass sie nicht nur für höhere Gehälter auf die Straße gehen, sondern auch für die Umwelt, für Prinzipien und Werte. In den letzten Jahren haben die Rumänen auch eine Zivilgesellschaft gebildet. Es bleibt nur zu hoffen, dass sie auch verstehen werden, welche ihre Rechte in einer europäischen Demokratie sind. Bis es nicht zu spät ist. Bis die Korruption nicht wieder tötet.