von Nada Vujovic, Serbien

Als „Big Brother“ in 1999 als die erste Reality-Sendung in den Niederlanden erschien, dachte niemand, dass die Beobachtung von einer Gruppe von Menschen, eingeschlossen in einem Haus, ein solches Globalphänomen werden würde. Bald hatte sich die Show nach GB und in die Verenigten Staaten verbreitet, direkt danach auch auf die ganze Welt. Und hier sind wir heute, nach genau 18 Jahren – Briten spionieren noch immer leidenschaftlich sowohl „normale“ Menschen, als auch Prominente und die so gennanten „VIPs“ aus. Wie das mit dem Leben normalerweise geht: Mittlerweile ist der Größe Bruder erwachsen und hat sich entschlossen, der Welt seine Nachkommen zu schenken. Und so sind zahlreiche Reality-Programme entstanden.

Jedoch ist die Entwicklung nie gleichmäßig, was dazu führte, dass diese Shows in manchen Ländern früher angekommen als in anderen. Dementsprechend wurden sie auch unterschiedlich akzeptiert und übten unteschiedliche gesellschaftliche Einflüsse aus. Serbien, das kleine bergige Land auf dem Balkan, lernte den Begriff „Reality-Show“ erst 2004 kennen. Nach den dunklen 90er Jahren, die am 5.10.2000 abgeschlossen wurden - als Milosevic endlich ohne Macht und Funktion war - begann der mühsame Prozess der Demokratisierung aller gesellschaftlichen Sphären. Jahreszeiten wechselten, Regierungen kamen und gingen, allerdings stehen wir noch immer in der Mitte (vielleicht sogar am Anfang?) dieses Prozesses. Warum läuft das alles so langsam? Sehr einfach – wie das gute alte Sprichwort sagt, machen wir einen Schritt nach vorne, und dann zwei zurück. Stellt euch einen großen Topf vor – „Hmmm, werf ich hier jetzt ein bisschen Gehalt- und Pensionerhöhung rein... Jetzt ein paar neue fremde Investitionen, warum nicht, das kann nie schlecht sein... Vielleicht könnten wir sogar diese regierungskritischen Medien noch leben lassen? Das scheint aber geschmacklos, oder­? Lass uns dann da ein bisschen Medienzensur und Steuerunterschlagung hinzufügen, es wäre auch vielleicht köstlicher, wenn alle Leute Arbeitsplätze aufgrund der Mitgliedschaft in der Hauptpartei bekommen würden?“ Unser Alltag ist seit langem eine Reality-Show geworden. Vielleicht deshalb mögen wir ihn so sehr?

Als „The Simple Life“ in 2004 aus den USA nach Serbien angekommen ist, schien das Publikum einfach verzaubert. Als wenn man Kindern ein neues Spielzeug kauft und sie finden es interessant, einfach weil es neu ist, obwohl es in Wirklichkeit vielleicht total blöd ist. Aber diese Unbekanntheit, die Tatsache, dass so was bisher nicht gebraucht wurde, macht das Spielzeug so speziell. So haben wir Serben für zwei Jahre auf zwei 20-jährige Mädels gestarrt, die Haustiere fütterten und den Acker bearbeiten lernten. Als das fertig war, folgte der „Big Brother“, der jahrelang das Hauptthema aller Medien war, das Thema, das die Leute nach Hause, in der Schule, auf Arbeit gebracht haben. Die Show wird nicht mehr ausgestrahlt (wahrscheinlich wegen der Produktionskosten), hat aber würdigen Ersatz bekommen, und zwar in Form zahlreicher ähnlicher Sendungen wie „Allein in der Dunkelheit“, „Die Farm“, „Die Paare“, „Die Malediven“, „Die Genossenschaft“ usw. Alle wurden ähnlich konzipiert: Das Einschließen einer bestimmten Gruppe von Leuten in einem Raum, egal ob es sich um ein traditionelles serbisches Haus im Dorf aus dem 19. Jahrhundert oder um ein luxuriöse Villa in Belgrad handelte. Sie verbringen ein paar Monate unter diesen Umständen (eine Show dauert sogar ein ganzes Jahr!), um zu sehen, ob sie das überhaupt überleben können.

Und was haben diese Shows dann gebracht? Den Sendern bestimmt einen riesigen Verdienst und der Bevölkerung Unterhaltung und Verdummung. Laut dem Prinzip „panem et circesnes". Denn was kann man eigentlich von einem Land wie Serbien erwarten, in dem 14% der Bevölkerung ohne Grundausbildung ist? Wenn man dazu bedenkt, dass jede zweite Person in Serbien älter als 65 Jahre ist, bekommt man eine typische Stichprobe des serbischen Fernsehpublikums. Und was kann einen Rentner und einen Ungebildeten – die alle Zeit dieser Welt für Fernsehen haben – am Meisten interessieren? Bestimmt nicht politische Talk-Shows in denen man über BREXIT diskutiert, oder die Übertragung eines klassischen Konzerts, weshalb diese Programme bald „weggeschmissen“ werden, während die virtuelle Wirklichkeit ihren Platz in prime time übernimmt. Das Leben anderer Leute zu beobachten - das passt immer. Das lässt den Pfeil am Peoplemeter steigen. Was aber alarmierend ist, ist die Tatsache, dass diese Programme in Serbien besonders erschreckende Inhalte produzieren. Ok, Streiten und Liebe, so was gibt es überall. Aber, lass es uns jetzt mal vorstellen – wäre es z.B. in Deutschland erlaubt, ein paar Frauen in eine Show zu lassen, von denen wir wissen, dass sie Prostituierte sind? Obwohl dieser Beruf in Serbien strafbar ist, wird das einfach ignoriert. Beispielsweise eine der weiteren brillianten Ideen der Produzenten war, ein Ehepaar mit mentalen Störungen im Haus mit 20 anderen Leuten einzusperren. Die aktuellste Innovation stammt vom Direktor des meist gesehenen Privatfernsehens „Pink“, das sein Programm national ausstrahlt. Wahrscheinlich dachte Herr Mitrovic, dass es sehr toll wäre (mit dem Motto: move the limits), ein Waisenkind zu adoptieren und es einfach vor den Kameras und den Publikum in einer Reality-Show aufwachsen zu lassen. Leider wird sich das wahrscheinlich verwirklichen, trotz zahlreichen negativen Reaktionen des normalen Teils der Öffentlichkeit. Und wisst ihr warum? Weil sie das einfach können. Niemand wird einen Finger rühren, das zu verhindern. RRA, als das dafür zuständige Organ, hat gar keine Entscheidung im Bezug auf die vielen ähnlichen umstrittenen Situationen in den letzten Jahren getroffen. Keine Show wurde verboten. Keine diese Sendungen wurde auf spätere Termine verschoben, wenn zumindest Kinder das nicht schauen können. Wer erlaubt das? Wer instruiert das?

Ich wäre gern optimistischer, kann aber nicht sagen, ob es besser werde wird. Als ein Mitglied meiner Gesellschaft fühle ich mich manchmal, als lebte ich wirklich in einer Show. Dass jemand da oben den „Big Brother“ spielt und versucht, das Publikum zu manipulieren, indem er absichtlich den Zuschauern eine parallele Wirklichkeit anbietet. Auf diese Weise schafft er, die Aufmerksamkeit des Publikums weit weg von echten Problemen zu halten und mehr Freiheit für seine eigene Handlungen sicherzustellen. Aber was weiß ich, vielleicht habe ich den falschen Eindruck gekriegt. Vielleicht bin ich schon zu verloren in diesem parallelen Universum.