von Edita Valinčienė, Litauen

„Alle Zigeuner sind Diebe, alle Russen trinken Wodka. Das tschechische Bier ist nicht schlecht, Letten sind unsere Brüder. Wir mögen Polen irgendwie nicht, aber Esten sind lustig, weil sie langsam sind. Deutsche und deutsche Ordnung – das können wir ertragen, übrigens, deutsche Autos sind ganz gut. Ukrainer sind doch dieselben Russen, aber die sind normaler. Alle Franzosen essen Baguette, die Holländer haben nur Tulpen und das Rauchen von Gras im Kopf, Slowenien und Slowakei ist doch das gleiche, und die Balkanländer stimmen jedes Jahr beim Eurovision Song Contest füreinander, womit sie andere Länder in Europa ärgern“, – ungefähr so sehen die Gedanken jedes fünften Litauers aus, und das ist nur ein winziger Teil aller in Litauen vorherrschenden Stereotype.

Litauer mögen starke, alkoholhaltige Getränke, essen Schweinehaxen und -ohren, spielen gut Basketball und wie schön sind litauische Frauen! Das sind die weitverbreiteten Stereotype über die Litauer. Diese Stereotype sind nichts anderes als das verdiente Gesicht einer Nation, als Herrscher der Nationen noch nicht einmal wussten, was ein Image ist, was internationale Politik und Tourismus sind, und welche Rolle Public Relations in der Geopolitik spielt. Daher bekam man das, was man auch tatsächlich verdiente.

Die Stereotypisierung ist hauptsächlich mit zwei wesentlichen Faktoren verbunden: Die Bildung von Stereotypen ist durch bestimmte unbewusste Faktoren und durch die individuelle Umgebung, in der man besonders viele Informationen von den Massenmedien bekommt, bedingt. Die Massenmedien bilden selbstverständlich die stereotype Denkweise jedes Menschen, solange er nicht selbst im Stande ist, Informationen zu analysieren und Entscheidungen zu treffen. Demzufolge denkt jeder fünfte Litauer in Stereotypen. Das bedeutet, dass die Tatsache schwer zu bestreiten ist, dass Massenmedien nicht zur positiven bzw. negativen Stereotypisierung von Nationen beitragen.

CNN, BBC und andere internationale Sender berichten täglich über die wichtigsten Geschehnisse in Europa und weltweit. Wenn die Namen Mazedonien, Rumänien oder Bosnien und Herzegowina in der Rubrik Verbrechen und Katastrophen oft erwähnt werden, so wird kaum ein Mensch, der sich für einen wahren Europäer hält, in seinem Freundeskreis prahlen, dass er seinen Urlaub in Sarajevo oder in Skopje verbrachte. Außerdem würde jeder fünfte Litauer die Fragen stellen: Wo liegt das und gibt es da irgendetwas, das einen Besuch lohnt? Aus diesem Grunde sollte sich nicht jeder fünfte Litauer darüber ärgern, wenn er die Frage hört: Und wo liegt dieses Litauen? Der statistische Litauer ist trotzdem wütend, obwohl er selbst keine Ahnung davon hat, dass es die Tschechoslowakei und Jugoslawien nicht mehr gibt, und bestimmt nicht weiß, wo Albanien liegt. Übrigens, dieses schlechtere Ostdeutschland gibt es auch nicht mehr – das hat er auch noch nicht mitbekommen. Nichtsdestotrotz ärgert sich jeder fünfte Litauer und schimpft.

Aber wozu doch CNN oder BBC? Jeder fünfte Litauer interessiert sich nicht für solchen Quatsch. Jedem fünften Litauer reichen die Nachrichten des einzigen privaten nationalen Senders völlig aus, und jeder fünfte Litauer liest meistens auch Nachrichten im Internet. Selbstverständlich erfährt jeder fünfte Litauer dort, dass die Polen Schwachköpfe sind und immer noch daran glauben, dass das ganze Land um Vilnius herum Polen gehört. Jeder fünfte Litauer findet Informationen darüber, dass die Russen, die schon 20 Jahre in Litauen leben, kein Litauisch sprechen. Jeder fünfte Litauer wird davon in Kenntnis gesetzt, dass die Flüchtlinge aus dem weiten Süden sein Land erobern, weil Nostradamus dies so vorhersagte. Aus diesem Grunde überzeugt sich jeder fünfte Litauer immer davon wieder, dass er Recht hat. Alle Russen sind Säufer, alle Polen sind dumm, und alle Flüchtlinge müssen zurückgeschickt werden, weil das sonst schlimm endet.

Es ist logisch, dass eine solche Stereotypisierung vom Ausbildungsniveau, von der Intelligenz, von persönlichen Erfahrungen, Normen, Gewohnheiten, sozialen Rollen und der Wohnumgebung abhängt. Es ist aber genauso logisch, dass die Stereotype aufgrund derselben Faktoren verschwinden. Doch das geht langsam. Dank der persönlichen Erfahrung, die jeder fünfte Litauer durch Kommunikation mit Ausländern sammelt, versteht er langsam, dass dasselbe Hemd einfach nicht Millionen verschiedener Menschen passt. So beginnt jeder fünfte statistische Litauer die statistischen Daten zu verbessern. Mit der Zeit greift nur jeder sechste bzw. jeder siebte Litauer auf Stereotype zurück. Die Statistik wird aber nur in dem Fall verbessert, wenn der Russe, den man traf, nett war, und der Pole, dem man begegnete, ausgebildet war und lächelte.

Andererseits darf man nicht vergessen, dass alle Nationen, alle Kulturen nur dann existieren können, wenn man das Prinzip der Toleranz befolgt. Unter den Bedingungen der Globalisierung ist eine solche Forderung nach Toleranz die objektive Notwendigkeit; die Welt ist viel zu verschieden, und verschiedene Kulturen bewerten verschiedene Geschehnisse auf der Welt relativ verschieden. Jede Kultur hat aber das Recht darauf, und dieses Recht muss man respektieren, genauso wie das Recht darauf, anders zu sein als du.

Mit einem Gruß, um statistische Daten jeder hartherzigen Nation zu verbessern.