von András Marton, Ungarn

In den letzten Jahren haben sich immer mehr Menschen in Ungarn dafür entschieden, ihr Glück lieber im Ausland – meistens irgendwo im Westen – zu suchen. Laut Presseberichten leben in und um London mehr als 200.000 Ungarn. Damit sei die britische Metropole die zweitgrößte ungarische Stadt nach Budapest.

Exakte Angaben dazu findet man kaum, meistens nur Schätzungen. Das Zentrale Statistische Amt Ungarns schrieb in seiner Studie 2015 (Demográfiai portré 2015 - Népességtudományi intézet), dass die Statistik der Empfangsländer zeigt, dass von 1995 bis 2006 jährlich 20.000 bis 30.000 Menschen aus Ungarn fortgezogen sind. Die Anzahl der Auswanderer stieg auf 30.000 bis 40.000 pro Jahr (zwischen 2007 und 2009), 2010 waren es schon mehr als 45.000, 2011 mehr als 60.000 und 2013 über 80.000 Auswanderer.

Die drei Hauptzielländer sind Deutschland, Österreich und Großbritannien. Die ungarischen Auswanderer sind überwiegend jung: Fast 80 Prozent sind unter 40 Jahre alt, 50 Prozent sind noch keine 30 Jahre alt. Die überwiegende Mehrheit ist unverheiratet und hat keine Kinder. Das Bildungsniveau der Auswanderer ist hoch: Jeder dritte hat einen Studienabschluss, während in Ungarn nur 18 Prozent der Bevölkerung über ein abgeschlossenes Studium verfügen. Mehr als 80 Prozent der im Ausland Lebenden haben einen Arbeitsplatz und nur zehn Prozent wollen auf jeden Fall später nach Ungarn zurückkehren.

Diese Massenauswanderung vertieft nur die demografische Krise in Ungarn. Bezogen auf das Sozialversicherungssystem muss laut Prognosen im Jahr 2050 ein Beitragszahler fast zwei Rentner finanzieren. Damit kann das Rentensystem nicht aufrechterhalten werden.

Die überwiegende Mehrheit verlässt Ungarn für einen besseren Lebensunterhalt. Ein Facharzt ohne Berufserfahrung verdient in Ungarn 750 Euro brutto, in Deutschland mehr als 5.000 Euro. Der Netto-Stundenlohn eines Handwerkers (Berufsanfänger) beträgt 2 bis 2,50 Euro in Ungarn, das ist ein Bruchteil des Gehaltes im Westen, auch auf Basis der Kaufkraftparität.

Viele berichten aber nach dem Umzug ins Ausland, dass sie den Eindruck hätten, dass das Leben im Westen ruhiger sei, sie fänden Anerkennung, und bei den meisten Arbeitsplätzen gebe es eine Karrieremöglichkeit, die zu Hause fehle.

Die ungarische Regierung erkannte das Problem: Im April 2015 startete die Kampagne „Komm nach Hause Jugend!”. Die Initiative ist vorläufig keine überwältigende Erfolgsgeschichte: Bis Ende August sind 21 Ungarn als Ergebnis der Kampagne heimgekehrt, eine Person davon fand gerade im Programm der Regierung eine Arbeit.

Man braucht offenbar mehr dazu, um die Auswanderungswelle zu bremsen. Es ist selbstverständlich, dass die Gehälter nicht von heute auf morgen vervielfacht werden können, obwohl man im Gesundheitswesen eine erhebliche Lohnerhöhung durchsetzen könnte. Viele Auswanderer sagen, sie würden auch für einen etwas niedrigeren Lohn in Ungarn arbeiten, wenn das Leben in ihrer Heimat ein bisschen unkomplizierter wäre: Die Unternehmen würden von der überflüssigen Intervention und den Papierarbeiten der Bürokratie befreit werden und vom Steueramt nicht bedrängt werden, es gäbe berechenbare Karrieremöglichkeiten in den Arbeitsplätzen und die allgemeine Atmosphäre wäre nicht so bedrückend.