von Valeria Nikolova-Zlatkova, Bulgarien

Eine zwei Meter hohe Flutwelle, Straßen wie Flüsse, weggeschwemmte Autos als wären es Kinderspielzeuge, etwa 30 Menschen ums Leben gekommen, darunter auch Kinder. Das ist nicht eine Szene aus einem Steven Spielberg-Film. Das passierte in der Realität in diesem Sommer in Bulgarien, dem ärmsten Staat in der Europäischen Union. Einige nennen es die Rache der Natur. Die anderen die Folgen der schlechten Regierungsführung. Die Antwort auf die Frage warum bleibt indes unbeantwortet. Bisher.

Das Thema ist aktuell wie nie. Die Parlamentswahlen sind ganz nah und die Politiker werden sie für sich nutzen. Die Wahlberechtigten aber fragen sich immer noch, warum sie am 5. Oktober 2014 wählen gehen sollen, wie der bulgarische Interims-Premierminister Georgi Bliznaschki aufgerufen hat.

Hunderte haben alles verloren – ihr Haus sowie ihr ganzes Hab und Gut. Besonders von der Fluttragödie betroffen: Varna, Dobritsch, Mizija und Burgas, wo die Hausbesitzer bei Flutschäden von Staat und Versicherungen im Stich gelassen wurden. Die Hoffnung auf finanzielle Hilfe beruht auf dem EU-Solidaritätsfonds, der nach der letzten Flutkatastrophe 2002 gegründet wurde, um im Falle von großen Naturkatastrophen solidarische Hilfe leisten zu können. Nach ersten Expertenschätzungen braucht Bulgarien rund 7,5 Millionen Euro, um die Infrastruktur wieder aufzubauen, und das nur nach der ersten Flut in Varna. Was die neuen Überschwemmungsgebiete angeht, ist die Rechnung noch nicht fertig. Zwei Monate ist es schon her. Sind die Flut-Betroffenen in Vergessenheit geraten? Und wird die Fluttragödie die Wahlergebnisse beeinflussen? Und ist tatsächlich nur die Laune der Natur für die sich häufenden Kataklysmen verantwortlich?

Das Nationale Institut für Meteorologie und Hydrologie der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften (BAN) hat vor der Flut-Katastrophe gewarnt. Trotzdem hat das Hochwasser die Gemeinden überrascht und dann war es schon zu spät, Präventivmaßnahmen zu ergreifen.

An solch heftige Regengüsse erinnern sich die alten Leute eigentlich nicht. Der 77-jährige Bai Dancho aus Misija ist nicht böse auf die Regierung. Die Natur ist daran schuld, sagte er, nachdem er alles verloren hatte: das Haus, seine Tiere. Er hat zwölf Stunden mit seiner Ehefrau auf Hilfe gewartet, sitzend auf einem Stuhl, der auf einem Tisch stand, berichtete der Bulgarische Nationalfunk. Heutzutage weint er wie ein Kind, wenn er sich an die kleine weiße Ziege erinnert, für die es keinen Platz auf dem Rettungsboot gab. Sein neues Heim ist jetzt eine alte Schule, die für die Flutopfer vorgesehen wurde.

Währenddessen, schon im Wahlkampf, bemühen sich die Politiker aus den verschiedenen Parteien mit Spenden und Hilfsleistungen als patriotische Retter in der Not zu profilieren. In Burgas hat der Chef der GERB-Partei (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) Bojko Borissov alle 470 Parlamentskandidaten seiner Partei in Gummistiefeln zum Großreinemachen in die überfluteten Katastrophengebiete geschickt. Eine besondere Form der politischen PR oder aufrichtige Hilfe für die Hochwasseropfer? Das ist vielleicht für Bai Dancho nicht so wichtig. Er hat durch die Flut sowieso alles verloren, was er in seinem ganzen Leben bekommen hat, all seine Lebenserinnerungen, in einem Augenblick verloren. Die junge Generation ist nicht so geduldig wie die Eltern und Großeltern es bereits 25 Jahre lang gewesen waren. Es gibt einen Plan B – auf die Heimat zu verzichten.

Wird die Naturtragödie den Ruf nach einem politischen Neuanfang mit unbelasteten Politikern stärker machen? Oder wird Bulgarien in Hochwasser und politischer Aussichtslosigkeit versinken, wie die deutschen Medien berichteten?

Das werden wir am 6. Oktober früh morgens wissen.


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