von Liudmila Corlateanu, Republik Moldau

Der Veranstaltungskalender Chișinăus ist jetzt voll – im Zentrum der Stadt, auf dem Versammlungsplatz werden Tag um Tag Konzerte von russischen Popstars organisiert. Auf der Straße, im zentralen Park, trägt man aber Nationaltrachten und Trikolore-Armbändchen (rot-gelb-blau). Die Begeisterung über diese Aktionen ist in menschlichen Gesichtern kaum zu merken. Der Beweggrund sind die Parlamentswahlen, die wahrscheinlich am 30. November stattfinden werden und die einen spannenden Herbst mit einem sichtbaren Wahlkampf versprechen.

Träumen mit offenen Augen

Nach dem Unterschreiben des Assoziierungsabkommens ist die pro-europäische Regierung selbstbewusster geworden. Woher dieses Gefühl von Sicherheit kommt, ist unverständlich. Die EU hat es sehr deutlich gesagt: Die Partnerschaft bedeutet Zusammenarbeit, aber keinen baldigen EU-Beitritt. Moldauische Medien sehen das aber ganz anders – jeden Tag laufen politische Werbespots, deren Ansatz lautet: „Wir sind bereits mit einem Bein in der EU.“ Die Talkshows zum Thema europäische Integration überschwemmen die Bildschirme. Es scheint, dass die Forderung einer Mentalitätsänderung nur in Worten geschieht, nicht aber in Taten. Laut dem Nationalbüro für Statistik ist das Existenzminimum zwar angewachsen, bleibt aber bei nur 89 Euro im Monat, während das Durchschnittsgehalt 209 Euro beträgt. Eine der Hauptgeldquellen bleiben Überweisungen aus dem Ausland, denn die moldauischen Gastarbeiter sind sowohl in den EU-Staaten als auch in Russland tätig. Die liberal-demokratische Partei Moldaus weiß aber Bescheid, wie gut es uns in der EU gehen wird. Deswegen organisieren sie ohne irgendeinen Anlass Versammlungen für Europa. So sind am 7. September circa 100.000 Menschen freiwillig (oder nicht) nach Chișinău gekommen, um ihre Unterstützung der durchgeführten Politik zu demonstrieren. Das Versprechen eines Neubeginns für Moldau klingt schön, nur wenig realistisch, wenn es vom ehemaligen Premierminister kommt, der einst wegen des Verdachts der Korruption entlassen wurde.

Ein anderer Hebel der Politiker sind die jungen Leute, die nach 1991 geboren wurden und heute die Hauptwählerschaft für einige Parteien bilden. Die Zielgruppe wurde klug ausgewählt – sie kennen die Geschichte oberflächlich, sind leicht zu beeinflussen und orientieren sich an Big Brother über den Pruth. So am 14.September: Hunderte Menschen haben eine 300 Meter lange rumänische Fahne durch die Stadt getragen. Die Mitteilung ist klar – die Nationalitätsfrage wieder erheben, auch nicht ohne den Hass auf andere nationale Minderheiten, die das kleine Land bewohnen, anzuheizen.

Früher war alles besser

Jenseits der politischen Barrikaden stehen die linken Parteien, allen voran die Kommunisten. Von 2001 bis 2009 hat die Partei regiert und alle Staatsorgane bedingungslos kontrolliert. Jetzt, nach vier Jahren „Willkür und Durcheinander“, wollen die Kommunisten wieder mal für Ordnung sorgen. So wie früher definieren sie soziale Sicherheit wie gute Arbeitsplätze, bezahlbaren Wohnraum und Sorge für ihre Bürger als Prioritäten im Wahlkampf. In diesem Fall werden die Rentner und Kriegsveteranen als Hauptzielgruppe gesehen. Die älteren Leute erinnern sich immer noch an die sozialistische Gesellschaft, als die Gewerkschaften noch tätig waren und die Rentner kostenlos mit dem Trolleybus fahren konnten. Es ist wichtig, sich zu erinnern, dass die Kommunisten 2008 an der Macht waren, als die Östliche Partnerschaft der EU geplant wurde, weswegen sie auch heute nicht gegen gemeinsame Projekte und nachhaltige EU-Investitionen im Land sind.

Eine ganz kategorische Haltung gegen die EU nimmt die sozialistische Partei Moldaus ein. Sie lehnt alles, was in den letzten vier Jahren gemacht wurde, ab und plädiert leidenschaftlich für den Beitritt Moldaus in die Zollunion. Eines der gewichtigsten Argumente sind ungefähr 700.000 Moldauer, die in Russland wohnen und arbeiten und für welche das Unterschreiben des Assoziierungsabkommen mit der EU nichts anderes ist, als noch ein Hindernis in ihrem ohnehin harten Leben. Ein anderer Orientierungspunkt ist die Senkung der Wirtschaftleistung, die aufgrund von Quoten unvermeidlich sein wird und die Nutzlosigkeit moldawischer Agrarprodukte auf dem EU-Agrarmarkt.

Teilweise Amnesie

Es gibt aber etwas worüber die aktuellen Kandidaten zu reden vergessen. Es geht nämlich um die Justiz, die nicht völlig frei von der exekutiven Macht ist. Und um die manipulierten Medien, denn jeder Zuschauer weiß Bescheid, wem der eine oder der andere Kanal gehört. Oder um den geringen Rückgang der Korruption in allen Bereichen, besonders in staatlichen Gewaltstrukturen. Demgemäß werden diese Parlamentswahlen eine harte Prüfung für die moldauische Zivilgesellschaft, die noch nicht fertig gebildet ist, sein.

Sowieso, laut der letzten Umfrage eines Befragungsinstituts wären, wenn am 5. Oktober Wahlen wären, 27 Prozent der Wähler noch unentschieden. Genau um diese 27 Prozent wird in den nächsten zwei Monaten der Kampf gehen. Egal wie beeinflusst und verwirrt die Bevölkerung ist, sie erwartet trotzdem eines: dass die Volksvertreter nicht vergessen, mal zu Taten überzugehen und ihre eigenen Interessen zumindest ein bisschen zurückstellen.


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