von Anna Przybyll, Polen

Es ist der 17. September 2014, als ich diese Worte schreibe. An diesem Tag vor 75 Jahren marschierte die Rote Armee in Polen ein. Am 23. August 1939 wurde in Moskau der Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion unterschrieben, bekannt als Hitler-Stalin-Pakt. „Wenn ich wollte, könnten russische Truppen in zwei Tagen nicht nur in Kiew, sondern auch in Riga, Vilnius, Tallinn, Warschau oder Bukarest sein“, sagt heute der russische Präsident Wladimir Putin. Diesmal alleine, weil sich Deutschland am Angriff auf Polen nicht beteiligen wird. Boshaft könnte man sagen, alleine nur deshalb, weil die Liste der Mängel bei der Bundeswehr länger ist als die Zahl der kampftauglichen Soldaten… Aber jetzt Spaß beiseite.

Wegen den Ereignissen in der Ukraine hat sich die Berichterstattung in den polnischen Medien (Rundfunk, Print und Online) streng militarisiert. Ein Konflikt Russlands mit Polen und anderen osteuropäischen Nachbarn scheint realer als je zuvor. Jüngste Umfragen zeigen, dass fast die Hälfte der polnischen Bevölkerung einen Krieg mit Russland fürchtet. Wir haben Angst, dass die Iskander-Kurzstreckenraketen aus Kaliningrad Richtung Polen abgeschossen werden könnten. Medien spiegeln auch die Befürchtungen Polens wider, dass wir ein zweitrangiges Mitglied in der NATO sind und dass das Bündnis uns erst nach drei Monaten helfen würde.

Die polnischen Medien werden von Militärlogik durchdrungen. Man spricht über das aktuelle Modernisierungsprogramm des Verteidigungsministeriums, das für dieses Jahr ca. zwei Milliarden Euro für neue Waffenkäufe vorsieht. Aus den Medien kann man auch erfahren, wie man sich auf einen Krieg logistisch vorbereiten kann – was man als Vorrat zu essen kaufen kann oder wohin man fliehen kann, wenn die Russen die Grenze überschreiten. Medien spekulieren und machen Interviews mit sogenannten Experten über den Stand der polnischen Armee, wer uns zu Hilfe eilen wird und wer nicht. Jeden Tag erfährt man widersprüchliche Informationen. Dadurch wächst die Angst und… der Umsatz der Medien oder die Balken in den politischen Umfragen. Ist es aber wirklich unnötig, Menschen über potenzielle Risiken zu informieren?

Am 15. August (einem Feiertag des polnischen Militärs) hat man in Warschau die größte Militärparade, die das Land je gesehen hat, organisiert. Es sind mehr als 120 Armeefahrzeuge, darunter Leopard 2-Panzer und Raketenwerfer, durch die Straßen Warschaus gefahren, Formationsflüge von F16-Kampfflugzeugen und Kampfhubschraubern sind ohrenbetäubend laut über der Hauptstadt geflogen und über 1.200 Soldaten sind mit Stolz marschiert. Der polnische Präsident Bronislaw Komorowski hat eine patriotische Rede an die Nation gehalten.

Die Militärparade am 15. August 2007 mit dem Präsidenten Lech Kaczyński hat man noch eine „faschismusnahe Kriegshetze“ genannt und als ein Fest der Rechtsradikalen beschrieben. Mit dem Atemzug von Russland auf polnischem Gebiet im Sommer 2014 – nur unter milder Kritik der Linken – veranstaltet die liberale Regierung große und kleine Militärevents. Tage der offenen Tür in Museen und Kasernen, Militärpicknicks für die ganze Familie, literarische Wettbewerbe für alle Altersgruppen, die an die heroische Geschichte von Polen erinnern sollen und so weiter.

Zu guter Letzt ist im Moment in den Kinos der Film Miasto 44 zu sehen, der den Helden des Warschauer Aufstands gedenkt. Am 30. Juli, also zwei Tage vor dem 70. Jahrestag des Ausbruchs des Warschauer Aufstands, haben 10.000 Menschen eine Sondervorführung des Filmes im Nationalstadion in Warschau gesehen, darunter viele der noch lebenden Aufständischen. In dieser teuersten Produktion in der polnischen Filmgeschichte sehen wir die zerstörte Stadt Warschau, die in Trümmern liegt, viele Verbrechen von Deutschen, aber auch die Untaten der Russen, die den Polen nicht geholfen haben. Es ist sehr wichtig, die eigene Geschichte zu feiern und an die geschichtliche Wahrheit zu erinnern. Die Frage ist nur, ob so viele blutige und erschreckende Details in einer für junge Leute attraktiven Form mehr Gutes als Böses für den gegenwärtigen Frieden bedeuten.

Am 15. August bei der Militärparade stand ich auf der Straße unter hunderten Familien mit kleinen Kindern. Die jüngsten Polen konnten nicht nur die Ausrüstung bestaunen, sondern auch in die Hand nehmen. Die Menschenmenge war so groß, dass ich mich kaum bewegen konnte. Warum war ich eigentlich dort? Ich habe selbst eine irrationelle Anziehungskraft all dieser Geräte gefühlt. Leoparden, die mit voller Geschwindigkeit zwei Meter vor meiner Nase gefahren sind, haben mein Herz zum Klopfen gebracht. Ich teile die Angst vor dem Krieg. Ist es deshalb, weil ich zu viel Presse lese? Würde ich allein nie auf diese Idee kommen, dass ein Konflikt in der Luft liegt? Sind die Medien nur eine Lupe, die die Wirklichkeit aufbauscht, oder sind sie ein richtiges Spiegelbild der Situation? Ich habe keine definitive Antwort auf diese Frage.