von Nives Nina Sossi, Kroatien

Kroatien feiert die EU-Mitgliedschaft. Punkt Mitternacht am 1. Juli 2013 wurde die Europaflagge gehisst. Doch in die Freude mischen sich Sorgen und Zweifel, weil es noch viele ungelöste Probleme gibt.

Mit einem großartigen Feuerwerk und mit der europäischen Hymne, mit vielen Hoffnungen, aber auch mit großen Sorgen, haben etwa 10.000 Kroaten in der Nacht am Montag, dem 1. Juli 2013, die Aufnahme ihres Landes in die Europäische Union als 28. Mitglied gefeiert. Präsident Ivo Josipović rief alle Landsleute in Zagreb auf, um das neue Kapitel trotz der Krise mit Optimismus zu starten. Punkt Mitternacht erklang auf dem zentralen Ban Jelačić Platz in Zagreb die EU-Hymne, „Ode an die Freude“ von Beethoven, während ein gigantisches Feuerwerk den nachtlichen Himmel erhellte.

„Gratulations, Kroatien“, rief EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso auf Englisch und Kroatisch und sprach von einer „historischen Nacht“. Kroatien hat schwer gearbeitet und sich gut auf den Beitritt in die Europäische Union vorbereitet. Der kroatische Regierungschef Zoran Milanović betonte, dass Kroatien eine Brücke zu den anderen Balkanländern sein soll, die auch versuchen die EU-Kriterien zu erfüllen. Die Kroaten selbst, aber, sind ein wenig skeptisch.

Auch wenn tausende Bürger und Bürgerinnen mit verschiedenen Programmen aus Klassik, kroatischer Folkore, Pop und Rockmusik bis Mitternacht feierten – von Beitrittseuphorie ist auf den Straßen von Zagreb wenig zu spüren: „Wir werden sehen, was kommt. Wir erwarten, dass es besser wird – jedenfalls hoffen wir es“, meint ein Mädchen. Sie hofft vor allem auf Arbeit, sie ist zurzeit arbeitslos: „Es ist nicht fair, dass manche alles haben und andere nichts. Wir hatten Krieg und andere schlimme Dinge, man sollte etwas mehr Verständnis für die Armen haben.“ „Schlecht ist es, eine Katastrophe“, sagt eine Gegner des EU-Beitritts. „Die EU wird uns alles wegnehmen, und sie wird uns nichts geben“, meint er. „Für mich bedeutet es nichts Konkretes“, sagen auch viele andere junge Leute, „vielleicht einfacher reisen, und dass wir uns nicht mehr wie Bürger der Dritten Welt fühlen“.

Doch die Mehrheit in Kroatien ist der Meinung, dass ihr Land schon früher selbstverständlich zu Europa gehörte und dass die EU-Mitgliedschaft der einzige richtige Schritt ist. Aber gleichzeitig herrscht angesichts der Wirtschaftskrise große Skepsis, ob der EU-Beitritt konkrete Fortschritte bringen kann. Kroatien hat sich nicht unbedingt den besten Zeitpunkt für die Aufnahme in den sogenannten „Brüsseler Klub“ der Europäer ausgewählt. Noch immer herrscht die Euro-Krise in anderen Ländern, und dementsprechend ist die Erweiterungs-Euphorie sehr gering. In den EU-Ländern wird auch betont, dass Kroatien in den Punkten Korruptionsbekämpfung, Justiz- und Wirtschaftsreformen zwar Fortschritte gemacht hat, aber noch einen langen Weg vor sich hat.

Trotz aller Bedenken ist der Beitritt Kroatiens auch eine Chance für die Gemeinschaft. Die Europäische Union soll ein Friedensprojekt sein. Allerdings können die meisten EU-Bürger diesen Anspruch nur noch durch einen Blick in die Geschichtsbücher nachvollziehen. Anders liegen die Dinge im Fall Kroatiens, wo noch vor 18 Jahren ein blutiger Krieg herrschte. Wer verstehen will, wie tief die Wunden sind, die der Krieg zwischen der kroatischen Armee und serbischen Truppen geschlagen hat, der muss nach Vukovar im Osten des Landes schauen. Wenn ein so vom Krieg geschundenes Land wie Kroatien jetzt Mitglied der Europäischen Union wird, dann kann sich der neue EU-Staat demnächst auch als ein Stabilitätsanker für die gesamte Region erweisen.

Noch mehr als die Perspektive eines dauerhaften Friedens zählt für die Kroaten allerdings die Frage, welche wirtschaftlichen Folgen der EU-Beitritt für sie haben wird. Die ökonomische Lage ist schlecht, seit 2009 befindet sich Kroatien in der Rezession. Und deswegen benötigt Kroatien so sehr die Investitionen aus dem Ausland. „Die jetzigen EU-Länder können vom Beitritt viel mehr profitieren als Kroatien“, meinen einige Leute. Ein Beispiel dafür: Kroatien muss europäische Umweltstandards erfüllen. Das erfordert große Investitionen, besonders im Bereich der Abwässer und Kläranlagen. Uns fehlt die entsprechende Technologie. Das bedeutet, dass Kroatien von den anderen EU-Ländern – besonders deutschen und anderen fremden Unternehmen – abhängig ist, die uns hier versorgen werden und hier auch viel Geld verdienen können. Die EU wird sicher von diesem Erweiterungsschritt profitieren.

Wirtschaftlich sieht es für Kroatien auch nicht rosig aus. Die Wirtschaft schrumpft das fünfte Jahr in Folge, die Arbeitslosigkeit unter den rund 4,4 Millionen Einwohnern ist hoch. Jeder zweite junge Mensch hat hier keinen Job. Viele befürchten, dass die Wirtschaft nach dem EU-Beitritt zumindest kurzfristig noch stärker leiden wird, weil Kroatien auf die europäische Konkurrenz nicht genug und richtig vorbereitet ist. Die Mehrheit der kroatischen Produkten ist nicht genügend wettbewerbsfähig. „Die meisten kroatischen Produzenten haben weder ein ausreichendes Bewusstsein für die Gefahren und Schwierigkeiten noch für die Möglichkeiten, die der Beitritt eröffnet“, meinen einige Ökonomen. Einige kroatische Unternehmen haben bereits auf den Preisdruck reagiert und angekündigt, einen Teil ihrer Produktion ins billigere Bosnien und Herzegowina zu verlegen. Während die EU-Zölle fallen, verliert Kroatien einen anderen wichtigen Markt.

Weniger Russen als Gäste. Die Urlauber aus Osteuropa, die hierher kamen, konnten bisher nicht alles in den Urlaub mitnehmen, weil es noch Zollgrenzen gab. Mit dem EU-Beitritt sind die Zollgrenzen weg und sie werden alles zu Hause in der Slowakei oder in Polen kaufen, wo es billiger ist und mit nach Kroatien in den Urlaub mitnehmen. Dadurch werden die kroatischen Supermärkte verlieren. Und es werden möglicherweise weniger Russen in den Urlaub kommen, weil sie jetzt ein Visum brauchen. Bisher haben sie im Sommer kein Visum benötigt.

Für die jungen Leute ist die EU eine Chance um ein Studium im Ausland zu absolvieren und andere Staaten kennenzulernen. Aber viele machen sich Sorgen, weil alles immer teurer wird, die kroatischen Produkte werden nicht exportiert, sondern umgekehrt, alles wird nach Kroatien importiert.

Wenn man einem Kroaten die Frage stellt: „Was erwarten Sie vom Beitritt Kroatiens zur EU?“ „Nichts“, lautet die häufigste Antwort. Meiner Meinung nach, hätten wir uns vor zehn Jahren gefreut. Damals war die EU noch etwas Besonderes, etwas Großartiges. Aber heute ist sie nur noch ein einziges großes Problem. Doch, nach 20 Jahren eines langen Reformprozesses kommen wir als stabiles Land in die EU, mit ziemlich gut ausgebildeten Arbeitskräften. Und wir sind ein mediteranesLand. Die wunderbare Adriaküste steht nicht nur für Touristen und Urlaub, sie ist auch ein kultureller Wert, den wir einbringen. Ich glaube, ein vereintes Europa ist gut für die Bürger.

Kroatien hat den EU-Beitritt geschafft und das ist wichtig, weil Kroatien der EU auch viel geben kann: Kroaten wollen lernen, studieren, arbeiten, aber sie brauchen ein wenig Anschub von Außen – und ich hoffe, das wird gelingen.


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