von Lukáš Pfauser, Tschechische Republik

Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik nach dem Jahr 1989 bilden einen sehr wichtigen Bestandteil der europäischen Geschichte und sind mit dem Politiker Václav Havel, der im Dezember 2011 starb, eng verbunden. In diesem Kontext handelt es sich nicht nur um die Fragen, wie beide Nationen sich miteinander aussöhnen, sondern im Hintergrund geht es auch um andere Begriffe – Demokratie, Vorurteile und Identität.

Als Einleitung ist es geeignet, mit einer kleinen Geschichte aus dem Alltag, die die tschechische Publizistin Lída Rakušanová in ihrem Vortrag zu Havels 70. Geburtstag erwähnte, anzufangen. Die Journalistin hatte auf den Weg von der Arbeit (Radio Free Europe) ein interessantes Gespräch mit einem Münchner Taxifahrer, der von Václav Havel schwärmte. Sie stellte ihm die Frage nach den Bewunderungsgründen. Daraufhin sagte er, „dass dieser Havel als Mensch dermaßen überzeugend ist, dass man ihm sogar glaubt, was er als Politiker sagt“, schrieb Rakušanová und setzte fort: „Ich glaube, er hat es gut getroffen: Das ist offensichtlich der Grund, warum Václav Havel in der Welt geachtet ist.“



Was die deutsch-tschechischen Beziehungen betrifft, nahm Vaclav Havel nach der Wende eine klare Stellungnahme. Er bezeichnete die Nachkriegsaussiedlung der deutschen Bevölkerung schon im Dezember 1989 in einem privaten Brief für den damaligen deutschen Präsidenten Richard Weizsäcker als „zutiefst unmoralische Tat, die nicht nur den Deutschen, sondern vielleicht in noch größerem Maße den Tschechen selbst Schaden zugefügt hat, und zwar sowohl moralisch als auch materiell. Auf Böses wiederum mit neuem Bösen zu reagieren.“ Allerdings riefen diese Äußerungen in der tschechischen Gesellschaft Empörung hervor, weil die Leute auf solch eine Meinung überhaupt nicht vorbereitet waren. Nachweis dafür ist, dass der Freiheitskämpfer Miroslav Klen, der im Zweiten Weltkrieg wegen der Mordaktionen der Gestapo elf Verwandte verlor, in den Hungerstreik trat.

Aber Václav Havel ging mit den Ideen, wie man das Verhältnis von der schwierigen Vergangenheit befreien kann, wieder. Zusammen mit dem ehemaligen Auslandsminister Jiri Dienstbier versuchte er von deutschen Politikern herauszufinden, wie sie auf die Vorschläge reagieren würden, dass die zweieinhalb Millionen vertriebenen deutschen Landsleuten nach einer eventuellen Rückkehr die tschechische Staatsbürgerschaft erhalten und zugleich an der Privatisierung teilnehmen könnten. Laut Havel wurde diese Initiative vom damaligen deutschen Präsidenten Richard Weizsäcker sehr begrüßt. Auch der bayerische Ministerpräsident Stoiber hörte sich dies angeblich an. Die Initiative brachte keine Resultate, da Bundeskanzler Kohl zwar die Vorschläge interessant fand, aber sie schließlich unter den Teppich kehrte. Auch in der Tschechischen Republik war die Initiative später nicht mehr relevant.

Eine Grundlage der deutsch-tschechischen Beziehungen nach dem Jahr 1989 bildet erst der Vertrag über gute Nachbarschaft. Er löst eine Reihe von Fragen – u.a. Umweltschutz, Politik der Minderheiten und die Voraussetzung für regelmäßige Zusammenarbeit. Das Dokument wurde am 27. Februar 1992 zwischen dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, dem deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und den Tschechen Václav Havel und Jiri Dienstbier auf der Prager Burg unterschrieben. Obwohl gegen diesem Vertrag damals ungefähr 2.000 Leute demonstrierten, kann man diesen Beitrag zu Verbesserung der Auslandsbeziehungen überhaupt nicht vergessen. Übrigens bezeichneten die Deutschen auch nach 20 Jahren nicht nur den politischen Schritt als Erfolg, sondern auch die Rolle, die Václav Havel und seine Kollegen spielten.

Hans-Dietrich Genscher sagte zum Anlass des 20. Jahrestages des Vertrags zur dpa, dass die damalige politische Repräsentation (an der Spitze mit Václav Havel) aus „wirklichen Europäern“ bestand und dass die Tschechische Republik in der Vergangenheit Glück hatte, denn es gelang ein Dokument, das die verantwortungsbewusste und respektvolle Beziehung zwischen beiden Nationen unterstützt, zu unterzeichnen. „Es wäre besser gewesen, wenn wir alles hätten schneller machen können, aber die Belastungen zwischen uns waren so kompliziert. Deshalb war es wichtiger uns Klarheit über uns zu verschaffen. Verständlichkeit hatte den Vorrang vor Schnelligkeit“, so Hans-Dietrich Genscher.

Václav Havel bemühte sich die klaren Meinungen der ausländischen Politik in die Richtung der Zusammenarbeit mit Deutschland weiter zu entwickeln, was er sichtlich formulierte, wenn er die bekannte Vorlesung an der Karlsuniversität im 17. Februar 1995 hielt. Damals machte er darauf aufmerksam, dass die tschechische Beziehung zu ihren Nachbaren mehr als bloß ein Thema der Diplomatie sei. Schlüsselpunkt in seinem Vortrag bildete auch die Frage der Identität. „Deutschland ist sowohl unsere Inspiration als auch unser Schmerz, eine Quelle von verständlichen Traumata, von mancherlei Vorurteilen und Irrglauben sowie von Maßstäben, auf die wir uns beziehen. Einige sehen Deutschland als unsere größte Hoffnung, andere als unsere größte Gefahr,“ sagte Havel und fügte bei, dass sich die Tschechen selbst nicht nur durch die Einstellung zu Deutschland und den Deutschen im Rahmen der Politik definieren, sondern auch selbst eine eigene Geschichte haben und staatliche Selbstverständnisse verstehen und bestimmen.

Gipfel der Initiative, die Václav Havel in der Funktion als Staatsoberhaupt auf dem Gebiet der tschechisch-deutschen Auslandspolitik machte, bildet die deutsch-tschechische Erklärung im Jahr 1997 (sie wurde am 21. Januar unterzeichnet). Beide Nationen entschuldigten sich für das gegenseitige Unrecht, deklarierten gemeinsam demokratische Werte und errichteten ein Deutsch-Tschechische Gesprächsforum und einen Deutsch-Tschechischen Zukunftsfond. Zur Unterschreibung der Versöhnungserklärung hielt Václav Havel im April 1997 auch eine wichtige Rede vor dem deutschen Bundestag. In der Ansprache, die er vorher in seinem Osterurlaub in Südtirol schrieb, konzentrierte sich Václav Havel auf das Recht der Heimat.

Genauer gesagt, Václav Havel arbeitete seine Ideen aus den vorherigen Jahren auf: „Wenn ich – sehr wohl wissend, warum – vor zwei Jahren nur sagte, dass die aus unserem Land stammenden Deutschen bei uns als Gäste willkommen sind, so kann ich heute ohne Befürchtung hinzufügen, was ich damals nicht sagte: Dass sie nicht nur als Gäste, sondern auch als unsere einstigen Mitbürger beziehungsweise deren Nachkommen willkommen sind, die bei uns jahrhundertealte Wurzeln haben und das Recht darauf haben, dass wir ihre Verbundenheit mit unserem Land teilen.“

Nun sollten sich die beiden Nationen um diesen Nachlass kümmern, damit die freundlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern noch vertieft werden.


Konversation wird geladen