von Natalia Leibina, Russische Föderation

Nach dem gescheiterten sowjetischen Traum, gab es in Russland eine lange Chaosperiode, wo niemand wusste, was von einem Tag auf den anderen so alles passieren konnte. Anfang der 90er Jahre wurden viele arbeitslos, oder behielten ihre Stellen, bekamen aber monatelang kein Gehalt. Alle hatten den Glauben an den Staat verloren und verfolgten das Prinzip: Gesetze sind da, um sie zu umgehen. Manche haben langsam die Wirtschaftsgrundsätze verstanden und haben angefangen zu handeln (in den vorherigen Jahren hieß es Spekulation und war verpönt). Während die einfachen Leute um ihr Brot kämpften, hatten die schlaueren schnell kapiert, wie sie in der Situation viel Geld machen konnten - so erschienen die heutigen Oligarchen. Die Gesetzgebung war so schwach, dass es viele Hintertüren für sie gab, den Reichtum des Landes zu stehlen.

Im Medienbereich gab es totale Willkür. Die Journalisten hatten mal endlich die Möglichkeit auf die Themen zuzugehen, die früher streng verschlossen waren. Und es war für sie ein echtes Paradies - es erschienen viele interessante Rundfunkprogramme, Artikel und Bücher, die das Sowjetische Regime enthüllten. Es war eine sehr spannende Zeit, wo eine Reihe von hochprofessionellen Journalisten hervorgegangen ist.

In derselben Zeit hat man sich um die gesellschaftliche Rolle der Medien kaum Gedanken gemacht. In den kommerzialisierten Medien herrschten die drei "S": Smert, Strah, Sex (Tod, Angst, Sex). Für das Medienmanagement war es das Wichtigste, hohe Zuschauerquoten zu erzielen und damit soviel Werbegelder wie nur möglich zu erwirtschaften. So wurden die Medien in den 90er Jahren mit gewaltigen Enthüllungsgeschichten und Action- und Horrorfilmen gefüllt. Dazu kamen politische Intrigen, Putsche, der Tschetschenienkrieg, die finanzielle Krise von 1998, die abgestürzten Aktienpyramiden. Keine gute Nachrichten, keine Sicherheit, keine Rücksicht auf Kinder. Die Einwohneranzahl sank von 147 Millionen im Jahr 1989 auf 142 Millionen im Jahr 2006.

Werbegesetze waren sehr vage. So dass die Jugendlichen mit 90x60x90 Idealen bombardiert wurden, überall waren Zigaretten und Alkoholwerbung zu sehen. Filme und Programme im Fernsehen wurden alle zehn Minuten mit Werbespots unterbrochen, was alle, insbesondere die ältere Generation sehr verärgert hat. Erst seit Januar 2008 haben sich die Medien- und Werbegesetze den europäischen Normen genähert.

Das neue Jahrhundert brachte Putin und mit ihm eine neue Hoffnung auf die so gewünschte Stabilität. Heute kritisieren viele in Russland seine Politik und fürchten, dass er (und zur Zeit sein Nachfolger Medvedev) das Land wieder zum totalitären Staat führen wird. Aber die überwältigende Mehrheit der Einwohner spürt, dass genau denen die demokratische Wendung gut getan hat. Das Alltagsleben ist immer noch nicht so sicher als es in der sowjetischen Zeit war, aber im Vergleich mit dem Durcheinander der 90er Jahren scheint Russland jetzt endlich auf einer klaren Spur zu sein. Die Perestroika-Kinder haben die Ruhe nie genossen. Es ging immer nur um Verwandlung. Die neue Generation beobachtet nun überall Wachstum.

Es ist kein Geheimnis, dass die Massenmedien ein effektives Bearbeitungsinstrument sind. Und natürlich gerade jetzt legt die Regierung auf die Medien, vor allem auf das Fernsehen, großen Wert. Mann muss sagen, dass sich die Medienlandschaft in den letzten 15 Jahren sehr mehrdeutig verändert hat: es erschienen zwar eine Menge von privaten Medien, aber der Staat hat sich die wichtigsten Fernsehsender zu Eigen gemacht. So dass im Moment die drei größten Sender entweder 100 Prozent staatlich sind (Rossija) oder zum Grossteil (51 Prozent von Pervyj) oder indirekt vom Staat beeinflusst werden (der Verwalter vom NTV ist das staatliche Gazprom).

Historisch bedingt gab es in Russland nie öffentlich-rechtliche Medien. Der Sender Pervyj (Das Erste) hieß zunächst bis 2002 Öffentliches Fernsehen Russlands, hatte dann den Namen freigegeben, damit, laut Senderchef, die Nische für einen echten öffentlichen Sender frei bleibe. Es gibt im Moment in Russland ein duales System: private und staatliche Medien. Wegen den größeren Signalverbreitungsmöglichkeiten und der Medienlizenzkontrolle ist der Staat weit vorne. Aber bis vor kurzem haben weder die staatlichen, noch weniger die privaten Medien ihre gesellschaftliche Rolle gut wiedergegeben.

Viel interessantes ist in den letzten Jahren geschehen. Für die russische Intelligenz ist seit 1997 der TV Sender Kultura ein Seelenbalsam. Seit 2003 gibt es den Sender Sport, seit 2005 den Verteidigungsministeriumssender Zvezda (Stern), der versucht das russische Armeeimage zu verbessern. Und im September 2007 wurde nun endlich mal ein spezieller Kinderkanal, Bibigon, gestartet - einige Stunden pro Tag strahlen Rossija, Kultura und Sport die Kinderkanalprogramme aus. Alle Sender sind völlig staatlich. So versucht die Regierung einerseits sich nach massiver Kritik zu bessern und andererseits TV-Mittel sinnvoll und genau adressiert zu nutzen. Natürlich verlieren die staatlichen Sender an Zuschauerquote, wenn sie den Kinderkanal senden aber dafür realisiert der Staat seine innenpolitische Aufgabe. Was außenpolitische Maßnahmen betrifft, startete 2005 der englischsprachige Sender Russia Today seine wichtige Mission.

Generell sind die Medien in den letzten fünf Jahren viel optimistischer geworden. Man redet stets über wirtschaftliches Wachstum, über die positiven Reformen, über sportliche Siege, über den Kinoboom, usw. Merkwürdig ist dass, die Kirchvertreter (Orthodoxe) letztlich auch sehr aktiv in den Medien waren, was übrigens nicht besonders demokratisch ist.

Dank den Medien (wo die Unterhaltungsshows mit prominenten Sportlern, Schauspielern und anderen Stars nicht die letzte Rolle spielen) verliert allmählich das Wort Patriotismus seine unangenehme, mit der sowjetischen Propaganda verbundene, Bedeutung. Das "wir" und "unsere Erfolge" wurden plötzlich zur lang gesuchten Nationalidee, die alle multinationalen und multikonfessionellen Bürger der Russischen Föderation (und eigentlich auch alle Russischsprachigen der Welt) wieder vereinigt hat, ob Russen, Tatars oder Udmurten, Karelier oder Burjaten. Das Wichtige dabei ist die kulturelle Basis und nicht Zombierung oder Vereinigung mit Hilfe militärischer Gewalt.

Die Präsidenten des Landes wurden jünger und scheinen vernünftiger zu sein, als die Politiker der sowjetischen Generation. Man hofft, dass die neue russische Leitung breiter denkt und keinen neuen eisernen Vorhang für das Land schmieden wird. Obwohl die Gefahr immer da ist, dass Ambitionen oder Kränkungen überwiegen können. Deswegen muss die russische Öffentlichkeit wach und nüchtern bleiben und aufpassen, dass die Medien demokratischer und Freiheit und Frieden der Leute nicht bedroht sein werden. Da kann eine Meinung von ausländischen Drittmittelmedien auch helfen objektiv zu bleiben.


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