von Dr. Radostina Yotova, Bulgarien

Am 17. Februar 2007 haben die Passanten im Zentrum von Sofia ein „Deja vu“ erlebt als ein Protest der Naturschützer in einen Zwischenfall mit den Sicherheitsorganen mündete. Die Ereignisse erinnern an einen der Hauptmomente am Vorabend der Wende. Am 26. Oktober 1989 haben die Organe der damaligen Miliz den Protest einer Naturschutzorganisation mit Gewalt auseinander getrieben. Zwischen diesen scheinbar gleichen Fälle aber stehen nicht nur 18 Jahre, sonst auch viele inhaltliche Unterschiede.

Im Jahr 1989 waren die Naturschutzorganisationen die ersten Dissidentenorganisationen in Bulgarien. Sie entstanden spontan als Protest gegen die Politik der Kommunistischen Partei in zwei für die Gesellschaft gefährlichen Fällen. Der erste ist der Tschernobyl-Unfall, als die Parteileitung den Bürgern offiziell versicherte, dass es keine Gefahr gibt, in derselben Zeit aber waren die Familien der Politbüro-Mitglieder ins Ausland geschickt worden und die Parteileitung hat für sich spezielles Essen bestellt. Das zweite Problem, das unmittelbar Anlass zur Gründung der ersten Umweltschutzorganisation in Bulgarien (Öffentliches Komitee für Ökologischen Schutz von Russe) wurde, ist die ständige Luftverschmutzung der Stadt Russe durch eine rumänische Chemiefabrik. In den Losungen der ersten bulgarischen Umweltschützorganisationen sind aber die Rufe für saubere Natur eng mit den Forderungen für Rede- und Meinungsfreiheiten verbunden. Diese Organisationen wurden bald ein Platz für politische Diskussionen und sind kurz danach mit den neu gegründeten oppositionellen politischen Parteien verschmolzen.

Siebzehn Jahre später sieht die Situation in Bulgarien ganz anders aus. Der strittige Punkt der neuen Proteste der Naturschützer Ende 2006 ist der bulgarische Plan zur bevorstehende Aufnahme in das europäische Schutzgebietsystem Natura 2000. Der Streit über den Umfang der Gebiete, die dem Projekt Natura 2000 angegliedert werden sollen, hat die bulgarische Gesellschaft in zwei Lager geteilt – auf der einen Seite die Naturschützer und auf der anderen die kommunalen Verwaltungen und die Grundbesitzer des zukünftigen Schutzgebietes. Der Streit zwischen beiden Seiten fing an, als einige NGOs und Naturwissenschaftler die Resultate ihrer langjährigen Forschungen veröffentlichten, nach denen ca. 34 Prozent des bulgarischen Territoriums zu Natura 2000 gehören soll. Mit dem Argument, dass das Eintreten in das Natura-Projekt die ökonomische Entwicklung ihrer Gebiete behindern wird, erklärten zuerst die Grundbesitzer und die Vertreter der örtlichen Verwaltung der Region um die Schwarzmeerküste dagegen, und später auch Vertreter der Gebirgsgegenden. Ihre Proteste, die sich bald zu Straßenblockaden auswuchsen, waren hauptsächlich das Resultat der verspäteten und ungenügenden Aufklärungskampagnen der bulgarischen Regierung über den Charakter des Natura-Projekts 2000. Am 21. Dezember 2006 anlässlich der gleichzeitigen Demonstrationen von Grundbesitzern und Naturschützern hat die bulgarische Regierung entschieden „wegen der starken Konfrontation in der Gesellschaft die Frage“ der Aufnahme in das Natura-Projekt 2000 zu verschieben.

Nach dieser Entscheidung und trotz ihrer Verpflichtungen trat Bulgarien am 1. Januar 2007 in die EU ein, als das einzige Land, das keinen Natura 2000-Plan verabschiedet hatte. Aus Protest gegen diese Politik der Regierung haben im Januar 2007 sieben bulgarische NGOs und Umweltschutzorganisationen eine Koalition gegründet - „Um die Natur Bulgariens zu erhalten“, und haben ca. 50.000 Unterschriften für ihre Petition gesammelt. Trotz diese Petition aber ist die Regierung unter dem Druck der Natura-Gegner eingebrochen und hat am 15. Februar die Entscheidung getroffen, dass in Natura 2000 nur 20 Prozent des bulgarischen Territoriums eintreten sollen und die restlichen Gebiete (unter denen auch wertvolle Reservate und Territorien, die durch Internationale Abkommen geschützt sind, stehen) müssen zusätzlich bis Oktober 2007 nochmals geprüft werden. Die Regierungsentscheidung wurde von Ministerpräsident Sergej Stanischev mit „der Notwendigkeit, der heutigen und zukünftigen Investoreninteressen zu schützen“ begründet. Die Reaktion der Umweltschutzorganisationen kam sofort. Sie erklärten den 17. Februar zum „Tag der Nationalfreude wegen der Flucht vor der Raubnatur“ und riefen auf zu einer Massendemonstration unter dem Motto „Erster Massenspaziergang der Naturverrückten in Bulgarien“. Die extravaganten Losungen sammelten ca. 100 junge Leute und Studenten, die entschieden, die Aufmerksamkeit der Medien auf das Problem zu richten. Die Straße vor dem Nationalfernsehen war aber von Polizisten gesperrt worden. Bei den Zusammenstößen mit den Sicherheitsorganen sind vier Demonstranten verhaftet worden. Das Nationalfernsehen schwieg dazu, aber die anderen Medien gaben die Ereignisse bekannt und riefen die Gesellschaft auf, gegen das Vorgehen der Polizisten zu protestieren.

Ende Februar traten in die Kampagne für Natura 2000 neue Mitglieder ein. Die internationale Naturschutzorganisation World Wild Fond startete eine Kampagne für die Rettung der bulgarischen Naturschutzgebiete und die Vertreter der Grünen Partei im Europäischen Parlament richteten 17 Fragen an die Europäische Kommission in Bezug auf die Beschneidung des ursprünglichen Umfangs des Natura-Projekts 2000 in Bulgarien. Der Naturschutzbewegung schlossen sich auch Studentenorganisationen in Bulgarien und im Ausland an. An der Seite der Naturschutzorganisationen in Bulgarien starteten jeden Donnerstag Proteste vor den Regierungssitzungen unter dem Motto „Erledigen wir die Arbeit der Regierung“. Die versuchten eine Gesellschaftsdebatte über den Nutzen von Natura 2000 zu provozieren und vor den potenziellen Strafen zu warnen, die Bulgarien erwarten muss im Fall von Nichterfüllung der Verpflichtungen auf dem Gebiet des Naturschutzes. Die Koalition „Um die Natur in Bulgarien zu erhalten“ bringen Klagen vor das Verfassungsgericht Bulgariens und auch vor die Europäische Kommission wegen des verspäteten und verkleinerten Umfangs des Natura 2000-Plans. Im heißen Sommer von 2007 erregte noch ein Ereignis die Gemüter – das Verwaltungsgericht setzte das Schutzstatut des größten Bulgarischen Naturschutzgebietes – Naturpark Strandzha wegen „Unklarheit seine Grenzen“ außer Kraft und öffnete den Weg für den zukünftige Bauvorhaben in unmittelbarer Nachbarschaft. Die sofortige Antwort der Naturschützer ist eine neue Protestkampagne mit Straßenblockaden in der Hauptstadt Sofia.

Die Proteste endeten damit, dass unerwartet viele Menschen in Bulgarien Partei für die „grünen Männlein“, wie sie die Naturschützer manchmal in den Medien nennen, ergriffen und sie erreichten ihren ersten Sieg. Der wurde aber nicht ohne Hilfe von Europa errungen. Am 18. Juli schickte die Europäische Kommission einen Brief mit einer Warnung nach Sofia, dass im Oktober eine Strafprozess gegen Bulgarien eröffnet werden wird, wenn die bulgarische Regierung bis dahin die komplette Liste aller zukünftigen Naturschutzgebiete noch nicht verabschiedet hat. Noch am nächsten Tag stimmte das bulgarische Parlament den Veränderungen im Gesetz für die Biologische Vielfalt und der Ergänzung für die Naturschutzgebiete zu, ebenso das Wiederherstellen des Statuts des Naturparks Strandzha. Es sollen in Zukunft ähnliche Fälle wie dieser vermieden werden. Einen weiteren Sieg haben die Naturschützer am 13. September erreicht, als der Nationale Rat für Biologische Vielfalt beim Umweltministerium die Vorschläge zum verkleinerten Umfang der Natura-2000 Gebiete zurückwies und der Regierung empfahl über 30 Prozent des Territoriums in dieses Projekt zu integrieren. Der Ball ist jetzt im Feld der bulgarischen Regierung.


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