von Inta Lase, Lettland

Im August 2004 war es heißer als üblich. Nicht etwa wegen der Lufttemperatur, sondern weil es Streit gab. Streit um Politik, Medien und das Verhältnis beider zueinander. Wütende Reaktionen und harrsches Argumentieren. Zunächst ging es eigentlich nur um die neue EU Kommissarin aus Lettland, dann aber sehr schnell auch um die Objektivität der öffentlich-rechtlichen Medien, die Rolle der NGOs und speziell um die Interessen des US-Philantropen Georg Soross.

Der Reihe nach. Um die Geschichte zu verstehen, muss man sich zunächst die Auswahl der EU Kommissarin anschauen. Es begann Anfang August, als fast alle EU Mitgliedsländer, einschließlich der Nachbarn Lettlands– Litauen und Estland - ihre Kandidaten für die Europäische Kommission bereits benannt hatten. Während überall schon über die getroffene Auswahl diskutiert wurde, hielt die lettische Regierung mit ihrem Vorschlag noch hinter dem Berg. Auch die Meinung mehrer Diplomaten und Politikwissenschaftler, dass eine so späte Nominierung eins Kandidaten Lettland in Schwierigkeiten bei der Durchsetzung seiner Interessen bringen würde, wurde von der Regierung nicht ernst genommen. Das Versteckspiel dauerte an. Eine Woche vor dem Stichtag, an dem die jeweiligen Regierungen ihren Kandidaten dem Kommissionspräsidenten präsentieren sollten, wurde im lettischen Parlament das Gerücht verbreitet, dass die Regierung ihre Wahl bereits getroffen hätte. Ingrida Udre, die Parlamentsvorsitzende, eine Karrierepolitikerin der Bündnis-Grünen und der Bauern sollte es werden. Sie lehnte ab und brach gleich nach Bekanntwerden der Personalie alle Kontakte zu den Medien ab. Auch der Ministerpräsident wurde plötzlich schweigsam und klärte die Situation nicht auf.

Ein paar Tage später hatten dann plötzlich alle drei Regierungsparteien einen eigenen Kandidaten. Für die einen war es die ehemalige Diplomatin und Außenministerin, die schon ein paar Monate lang als Schatten-Kommissarin von Franz Fischler galt, für die zweite an der Regierung beteiligte Partei war der Wunschkandidat der derzeitige Ökonomieminister, und für die dritte Regierungspartei die Parlamentsvorsitzende, die sich ja zum Thema EU nicht äußern wollte. Und das ist ja auch nur verständlich, weil sie vor einigen Jahren noch durch eine sehr euroskeptische Wahlkampagne auffiel und den Wählern versprach die Ungleichheit in der EU abzuschaffen.

Und dann kam der Tag der Auswahl. Am Anfang hat Regierung ordentlich gestritten und dann war es plötzlich klar, dass jede Partei auf ihrem Kandidaten bestehen wird und die Auswahl letztlich allein beim Ministerpräsident bleiben würde. Er tat es und wählte seine Favoritin Ingrida Udre aus. Damit endete die Geschichte aber keineswegs. Nach der entscheidenden Regierungssitzung, wollten alle Medien gern eine Erklärung hören. Aber sie wurden enttäuscht. Der Regierungschef verlautbarte lediglich, dass die Kandidatin Favoritin seiner Partei sei. Fragen um das angestrebte Ressort in der Kommission und die Interessen Lettlands blieben unbeantwortet. Auch die neu gewählte Kandidatin war nicht mehr in Lettland anzutreffen. Sie hätte, so erklärte ihre Pressesprecherin, gerade ein paar Tage Urlaub genommen und wäre nach Brüssel geflogen. Angeblich um dort ihren Ehemann zu treffen. Ob es tatsächlich zu diesem privaten Rendezvous gekommen ist, ist nicht belegt. Was man weiß ist aber, dass sie ein kurzes, vorher angemeldetes, Gespräch mit dem Kommissionspräsidenten hatte. Auch bei der Rückkehr der frischgebackenen Kommissarin am nächsten Tag gab es keine Erklärung an die Presse – lediglich ein paar freundliche Gesten am Rollfeld des Flughafens.

Dieser Umgang mit einer für die lettische Öffentlichkeit so wichtigen Frage hat nicht nur Medien schwer verärgert, sondern auch die NGOs, die für Öffentlichkeit und Demokratie eintreten. (zum Beispiel der lettische Abteilung von Transparency International) Zum ersten Mal wurde in Lettland deshalb eine Demonstration gegen diese Art intransparenten Entscheidungsprozess organisiert. Das ließ auch die lettische Präsidentin nicht ungerührt. Erstmalig mischte sie sich – sonst im Status einer Sonderpolitikerin – in eine innenpolitische Debatte öffentlich ein. Und das auf eigenartige Weise. Den NGOs sprach sie kurzerhand das Recht ab, in dieser Angelegenheit zu demonstrieren. Das sei eine parteipolitische Frage. Und wer in parteipolitischen Dingen mitreden wolle, müsse schon eine Partei gründen.

In den Abendnachrichten und morgens in den Zeitungen hatte man das Gefühl, dass die Medien in zwei Gruppen gespalten sind. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und Radio und die größte Tageszeitung auf Seiten derer, die Demokratie, transparente Entscheidungen und klare Antworten und Erklärungen fordern; die kommerziellen Fernsehsender und die drei Zeitungen, die einem Oligarchen gehören auf Seiten der Regierung und der Staatspräsidentin. Es ging jetzt bei weitem schon nicht mehr nur um die Auswahl der EU-Kommissarin, sondern um die Rolle der NGOs und der Zivilgesellschaft in Lettland. Und um die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und Radios.

So äußerte sich der stellvertretende Premierminister, der vorher nicht besonders gerne Interviews gab, in der zweitgrößten Zeitung sehr deutlich – das öffentlich-rechtliche Fernsehen und das Radio hätten im Grunde genommen kriminell gehandelt und berichtet. Und dann beschwerte er sich beim Chefredakteur, dass seine und die Aktivitäten seiner Partei in den Abendnachrichten gar nicht vorgekommen wären und das nur deshalb, weil die Nachrichtenjournalisten zu destruktiv seien und zu viel Aufmerksamkeit der Opposition und den NGOs, wie der lettischen Abteilung von Transparency International widmeten. Er schlug vor, dass man vielleicht überlegen sollte, ob das Geld, das die öffentlich-rechtlichen Medien bekämen, gut angelegt sei. Ähnliche Kritik kam vom Regierungschef selbst. Was die Situation noch verschärfte, war der Vorschlag der Staatskanzlei, dass man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen einen Sendung machen sollte, die direkt vom Staat bezahlt werde und wo sich die Minister in „ordentlicher“ Breite äußern könnten. Dieser Vorschlag stieß einhellig auf Ablehnung und Empörung.

Zeitgleich zur Mediendebatte fand auch noch ein öffentlicher Schlagabtausch statt. So behauptete der Vizepremier in mehreren Interviews, dass die NGOs in Lettland eine neue Partei grünenden wollten. Finanziert und im eindeutigen Interesse des schwerreichen US-Finanzmagnaten und Philantropen Georg Soross, der unter anderem die Abteilung von Transperancy International in Lettland finanziell unterstützt. Der Vizepremier listete zudem auf, welche lettischen Intellektuellen und Meinungsführer je ein Stipendium von einer Sorros zugehörigen Stiftung bekommen hätten. Darunter Chefredakteure, Vorsitzende von NGOs, Künstler und Geschäftsleute. Letztlich zeigten diese Diskreditierungen aber keine Wirkung. Kaum jemand glaubte an die kruden Verschwörungstheorien.

Klar wurde lediglich, dass eine ganze Reihe der führenden lettischen Politiker noch immer nicht begriffen haben, dass die Sowjetzeiten endgültig vorbei sind. Hofberichterstattung verträgt sich nicht mit freien Medien. Klar wurde zudem, dass die NGOs und die Zivilgesellschaft in Lettland mittlerweile selbstbewusst genug sind, derartige Angriffe abzuwehren. Schade ist allerdings, dass Lettland im Vergleich mit Litauen und Estland, den unwichtigsten EU-Kommissar stellt – den wenig einflussreichen Posten des Steuerkommissars. Und mit diesem Manko wird Lettland die nächsten fünf Jahre leben müssen.


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